Kommentar über Armut in Wuppertal Eine fragwürdige Definition
Wuppertal · Die Gefühle, die nach meiner Reportage über das Sozialkaufhaus "Vielwert" bleiben, sind gemischt. Ich möchte wissen, wie viele Menschen in Wuppertal auf ein solches Angebot angewiesen sind.
Andreas Kletzander, Vorstandsmitglied des Wuppertaler Jobcenters, hat Zahlen: 24.312 (Stand Juni 2018) Bedarfsgemeinschaften, also Familien, erhalten in Wuppertal Grundsicherung vom Jobcenter. Das sind arbeitslose Menschen, die Arbeitslosengeld II beziehen, aber auch Wuppertaler, deren Gehalt oder Rente aufgestockt wird. Versteht man die Grundsicherung in Deutschland als Armutsschwelle, dann leben 23 Prozent in unserer Stadt zumindest kurz davor. Das ist, finde ich, erschreckend viel. Und wer an der Schwelle lebt, bei dem jeder Cent abgezählt wird, fühlt der sich in unserer Welt des Überflusses nicht längst abgehängt?
Armut ist immer eine Frage der Definition, erläutert Andreas Kletzander. Gesundheitsminister Jens Spahn zum Beispiel sagt, wer Hartz IV bekommt, ist nicht arm. Da niemand aber in Deutschland weniger als die Grundsicherung zur Abdeckung seines Regelbedarfs bekommt, gibt es — nach Spahns Definition — also gar niemanden, der in der Bundesrepublik in Armut lebt. Problem nach (seiner) Definition erledigt. Spahns Art der Problemlösung schafft die Armut per Begriff ab, aber sie hilft keinem einzigen, der zu wenig Geld zur Verfügung hat, um sich oder seine Kinder für die kalte Jahreszeit einzukleiden.
Das tun Menschen wie Silke Angenendt und ihr Team. Angebote, wie das Sozialkaufhaus versuchen, diese Menschen in einer Welt, die immer mehr auf Konsum setzt, auf beiden Seiten, als Verkäufer und Kunde, aufzufangen. Eigentlich ist doch genau das echte Problembewältigung. 23 Prozent der Wuppertaler können durch soziales, lokales Engagement unterstützt werden. Politisch ist ihnen aber nur geholfen, wenn man ihre Not, statt sie umzudefinieren, endlich anerkennt