Rundschau-EM-Kolumne des Wuppertaler ZDF-Reporters Martin Schneider (4) Die spinnen, die Franzosen ...

Wuppertal · Die Vokabel "Sommermärchen" gibt es nicht im Französischen. Wäre nicht weiter von Bedeutung, würde man bei dieser Europameisterschaft wenigstens ein paar Attribute erleben, die uns verkniffenen Deutschen vor zehn Jahren weltweiten Respekt eingebracht haben: freundlich, höflich, begeistert, zuvorkommend, humorvoll und, und, und…

Der Funke springt bislang weder vom Feld auf die Tribüne, noch umgekehrt über, das meiste an dieser Euro wirkt irgendwie gehemmt und unterkühlt. Natürlich steht alles im Gesamtkontext einer abstrakten, aber irgendwie spürbaren Bedrohung durch Anschläge. Da ist die allgegenwärtige Hooligan-Randale, und es gibt soziale Probleme in einem Land, das nötige Reformen jahrelang verschoben hat.

Ich saß letztens in meinem Hotelzimmer bei der täglichen Lektüre des üppigen Pressespiegels, als es fünf Stockwerke unter mir laut wurde. Eine Demo mit mehr Bengalos als im kroatischen Hooligan-Block einige Tage später, dazu ohrenbetäubender Lärm. Es war ein Protest von Gewerkschaften gegen die geplante Lockerung des Kündigungsschutzes durch die Regierung Hollande.

Mühsam habe ich mir die Wörter auf Transparenten und die verbalen Slogans "ergoogled". Es geht zur Sache bei unseren Nachbarn. Und irgendwie hat man den Eindruck, dass die Floskel vom "Leben, wie Gott in Frankreich" von vorgestern ist. Ob das auf die Stimmung im Volk schlägt? Ich würde sagen: Ja!

Oft scheitern wir beim Versuch, gegen 21.45 Uhr noch ein Restaurant zu finden, um einen Burger oder Steak/Frites zu essen. Die Kombination speisen und Fußball schauen ist noch schwieriger zu bekommen. Dazu kommt eine Chuzpe (oder ist es Arroganz?), die man als Handlungsreisender in Sachen Sport selten erlebt: Vor einigen Tagen haben wir in der Altstadt von Lyon in einem Restaurant reserviert, das die traditionelle Küche "bouchon lyonnais" anbietet.

Wir sind auf deftige Kost mit verlängertem Verdauungsmodus vorbereitet. Was sich aber zunächst in die Länge zieht, ist der Service: 15 Minuten bis zur Aufnahme der Getränke, weitere zehn Minuten bis zum Auftischen der Drinks, Brot kommt nach Aufforderung noch später. Zwischendurch sagt der Oberkellner zu unserer Bedienung (aufgeschnappt von meinem französisch sprechenden Kollegen) den Satz: "Wenn die es eilig haben, dann sind sie hier falsch".

Wir bleiben dennoch und verdrücken nacheinander Hausmannskost von "saucisson chaud" (warme Wurst) bis "Quenelle" (Klößchen) oder "Gateaux de fois" (Leberkuchen)". Mir fällt ein Satz von meinem ehemaligen Kollegen Dieter Kürten ein: "Wer hat eigentlich das Gerücht in die Welt gesetzt, die Franzosen könnten kochen?"

Zur Abrundung des Abends wollten wir noch auf einen Absacker in ein Bistro um die Ecke, wo auch das Spiel der Franzosen gegen Albanien lief. "Non! Getränke gibt es nur für die, die hier auch gegessen haben", hieß es. Wir blieben hartnäckig und bekamen nach dem Treffer durch Payet in der 90. Minute doch ein Bier. Aber ein Taxi (wegen der Wolkenbrüche) wollte uns die Bedienung später nicht rufen. Begründung: Sie würde in einem Bistro arbeiten und wäre keine Telefonistin.

Die spinnen, die Franzosen, oder? Naja, c'est la vie — und diese Schrulligkeit lieben wir ja ganz besonders an ihnen.

A bientot, Martin Schneider!