Stipendium an der Bergischen Uni Vor Erdogan geflohen

Wuppertal · Seinen vollständigen Namen möchte Professor Ö. nicht in der Zeitung lesen. Denn vor einem Jahr ist er mit seiner Familie aus der Türkei und vor dem Erdogan-Regime geflohen. Dank des Philipp-Schwartz-Stipendiums arbeitet Ö. ab Oktober an der Bergischen Uni.

Professor Ö. (li.) freut sich, wieder forschen zu können. Silke Wiesemann arbeitet im Sekretariat von Prof. Manfred Helmus und kümmerte sich um alles Organisatorische, damit Ö. an der Uni einen neuen Arbeitsplatz findet. In Prof. Manfred Helmus Postfach landete die E-Mail von dem Kollegen aus der Türkei.

Foto: Wuppertaler Rundschau / Simone Bahrmann

Am Samstag (28. September 2018) kommt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan nach Köln und nimmt an der Eröffnungsfeier der Ditib-Moschee in Ehrenfeld teil. Ö. fühlt sich nicht wohl dabei: " In Deutschland gibt es viele Erdogan-Unterstützer. Erst letzte Woche hat Erdogan gesagt, dass er alle verfolgen wird, die aus der Türkei geflohen sind. Egal, wo sie sind."

Der Wissenschaftler Ö. ist an der Bergischen Universität in Wuppertal. Erstmalig hat die Uni in diesem Jahr ein Stipendium an geflüchtete Forscher vergeben. Ö. ist einer der 35 Stipendienträger der Philipp-Schwartz-Initiative.

Geflohen ist der Bauwissenschaftler mit seiner Familie vor einem Jahr aus Istanbul. Seine Frau und er arbeiteten als Professoren an der Universität. Vor zwei Jahren, im Sommer 2016, leitete die Uni plötzlich Ermittlungen gegen sie ein. Sie wurden gefeuert. In der Nacht darauf standen drei Polizisten vor der Haustür und nahmen Ö.s Frau mit. Eine Woche verbrachte sie im Gefängnis, mit einer elektronischen Fußfessel am Knöchel kam sie wieder nach Hause. Dann wurde Professor Ö. abgeholt.

"Sie sagten, wir wären Terroristen", erzählt er. "Dabei weiß ich nicht einmal, wie man eine Pistole benutzt. Ich benutze immer nur meinen Computer, darin bin ich gut." Ein ganzes Jahr verbrachte Ö. im Gefängnis. "Das war eine gute Zeit", sagt er heute. Gut, weil er dort viele Gleichgesinnte traf: Professoren, Ärzte, Juristen. Schlecht aber auch, weil er seine Familie nur alle zwei Monate stehen durfte. Und wenn sie ihn besuchten, war es ihm verboten, sie zu umarmen.

Gute Freunde, selbst die enge Familie, brachen den Kontakt ab. "Ich musste ins Gefängnis. Und sie haben nichts getan. Sie haben meine Frau nicht angerufen. Sie haben nicht gefragt, ob sie helfen können. Sie sind nicht vorbei gekommen", sagt er, noch heute fassungslos.

Für Familie Ö. stand schnell fest: Sie werden fliehen. Unmittelbar nach Ö.s Entlassung machten sie sich auf den Weg, mit leichtem Gepäck, über den Grenzfluss Evros nach Griechenland. Dann weiter nach Deutschland, und nach Neukirchen-Vluyn.

Jeden Tag, wenn die zwei Kinder der Familie zur Schule gehen, besuchten Ö. und seine Frau die Bibliothek. Seit ihren Festnahmen im Sommer 2016 hatten sie nicht mehr geforscht. "Und ich liebe es zu forschen, ich liebe es zu schreiben. Ich brauche das", sagt Ö.

Um das, was er liebt, wieder machen zu können, schickte er E-Mails an alle Professoren, die an deutschen Universitäten in seinem Forschungsgebiet tätig sind. Eine dieser Mails landete im Postfach von Professor Manfred Helmus vom Lehr- und Forschungsgebiet Baubetrieb und Bauwirtschaft der Bergischen Uni. "Ich war erst skeptisch", erinnert sich Helmus, lud Ö. und seine Frau aber trotzdem zum Gespräch ein. Sie trafen sich im Lehrstuhl am Campus Haspel, am selben Tisch, an dem Ö. heute das Interview gibt. Über das Internet war der türkische Professor auf das Philipp-Schwartz-Stipendium aufmerksam geworden. Er erzählte Manfred Helmus davon, und der versprach, sein Möglichstes zu versuchen.

Mittlerweile fährt Ö. täglich von Neukirchen-Vluyn nach Wuppertal. Zum Start des Wintersemesters nimmt er offiziell seine Arbeit am Campus Haspel auf. Zwei Jahre lang wird er über das Stipendium an der Bergischen Uni gefördert. "Und danach helfen wir ihm, einen Job zu finden", verspricht Manfred Helmus.

Obwohl Ö. und seine Familie es geschafft haben, lassen die Schatten der Vergangenheit sie nicht los. "Ich hatte ein gutes Leben in der Türkei. Ich hatte ein Haus, zwei Autos, unsere Kinder gingen auf die Privatschule. Und in einer Nacht nahmen sie uns alles weg. Sie haben unsere Träume gestohlen", sagt er unvermittelt im Gespräch. "Vielleicht finden wir neue Träume", entgegen Manfred Helmus. Und Ö. antwortet: "Ja, da bin ich sicher."

Neben Professor Ö. ist übrigens auch seine Frau Stipendienträgerin der Philipp-Schwartz-Initiative. 35 Stipendien wurden deutschlandweit, gefördert durch die Alexander von Humboldt-Stiftung und das Auswertige Amt, vergeben. Gleich zwei Plätze gingen an Familie Ö.

Der Bauwissenschaftler arbeitet an der Bergischen Uni, sie an der Technischen Universität in Berlin. Bald werden seine Frau und die Kinder in die Hauptstadt umziehen. Manfred Helmus und Professor Ö. sind gemeinsam auf der Suche nach einem kleinen Zimmer, in dem Ö. unter der Woche in Wuppertal wohnen kann.