Streit mit YouTube Medienprojekt: „Klar zu erkennen, wer wo steht“
Wuppertal · Das Medienprojekt Wuppertal ist ein von der Stadt und vom Land NRW geförderter, vielfach preisgekrönter und bundesweit anerkannter freier Träger der Jugendhilfe. Die pädagogische Einrichtung, die seit 1992 existiert, produziert mit jungen Menschen Filme zur politischen Bildung. Jetzt gibt es juristischen Streit zwischen dem Medienprojekt und der Online-Filmplattform YouTube.
Dabei geht um den knapp über zwölf Minuten langen Dokumentarfilm „Misstrauisch“. Er entstand aus am 18. Dezember vergangenen Jahres auf dem Geschwister-Scholl-Platz gedrehtem Live-Material. Damals hatte es eine „Mahnwache“ von Corona-Maßnahmen-Gegnern sowie eine Gegendemonstration des Wuppertaler „Bündnisses gegen Nazis“ gegeben, an der beispielsweise auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Helge Lindh teilnahm.
Im Medienprojekt-Film kommen Vertreterinnen und Vertreter beider Gruppen – wie bei Medienprojekt-Produktionen üblich – dokumentarisch, aber unkommentiert in zahlreichen Original-Statements zu Wort. Medienprojekt-Geschäftsführer Andreas von Hören: „Bei uns geht es immer darum, dass die Einordnung eines Themas durch die jeweiligen Gegenstimmen erfolgt.“
Nachdem „Misstrauisch“ am 22. Dezember 2021 bei YouTube eingestellt worden war, lief der Film 20 Minuten lang, wurde in dieser Zeit von etwa 100 Menschen gesehen – und dann von YouTube gesperrt. Die Begründung in einer E-Mail: „Verstoß gegen die Richtlinien zu medizinischen Fehlinformationen.“ Gegen die Sperrung des Filmes legte das Medienprojekt zweimal Widerspruch ein – erfolglos.
Mittlerweilen hat der Wuppertaler (Medien-)Rechtsanwalt Michael Ullrich am 17. Januar im Auftrag des Medienprojektes ein offizielles (und außergerichtliches) Widerspruchsschreiben an YouTube beziehungsweise den YouTube-Eigner Google geschickt – und eine kurze Frist zur Stellungnahme gesetzt.
Ullrich im Gespräch mit der Rundschau: „Bei ,Misstrauisch‘ handelt es sich um einen Dokumentarfilm. Warum der Beitrag gesperrt wurde, wissen wir gar nicht genau. Deswegen unsere Aufforderung, das eindeutig darzulegen oder aber den Film wieder freizugeben. Die Reaktion müssen wir jetzt abwarten.“
Medienprojekt-Leiter Andreas von Hören: „In unseren Filmen sagen wir nicht, was richtig oder falsch ist. Die aufklärerische Wirkung soll sich aus dem ergeben, was von den jeweiligen beiden Seiten zu hören und zu sehen ist. Eine solche dokumentarische Produktion kann nicht anhand einzelner Zitate bewertet werden. Wobei man ja auch nicht weiß und nicht herausbekommen kann, ob ein Mensch den Film bewertet hat oder ein technischer Algorithmus zum Einsatz gekommen ist.“
Von Hören sieht das Ganze auch ein Stück weit als David-gegen-Goliath-Thema: „YouTube hat in Sachen Online-Filme ein wahnsinniges Monopol und das Medienprojekt ist natürlich nicht ARD, ZDF oder Spiegel-TV.“
Der Bundestagsabgeordnete Helge Lindh sieht in dem Film, in dem er selbst zweimal ausführlich zu Wort kommt, „eine untadelige Corona-Skeptiker-Doku mit journalistischem Anspruch, in der als Aktion der politischen Bildung klar zu erkennen ist, wer mit welchen Positionen wo steht“. Dem Medienprojekt die Verbreitung von „Fake News“ vorzuwerfen, wie es YouTube tue, sei „absolut nicht nachvollziehbar“. Außerdem werde nun die Sperrung des Medienprojekt-Beitrages „von extremen Corona-Skeptikern auf deren Kanälen geradezu bejubelt und als Beweis für Zensur benutzt“.
Lindh nimmt aber angesichts der unverändert starken Corona-Proteste auch – durchaus selbstkritisch – eine breitere Perspektive in den Blick: „Vor allem die Meinungsverschiedenheiten beim Thema Impfen gehen ja durch Familien und Freundeskreise und haben definitiv Spaltungspotenzial. Ich bleibe bei meiner Diagnose von 2020: Die Politik hätte zu Beginn der Corona-Zeit andere Formen des Diskurses wählen müssen, um den Menschen zu erklären und zu begründen, wie und warum die Politik was entschieden hat, so dass Lehren aus der Krise möglich geworden wären. Warum etwa hat es nie Demonstrationen dafür gegeben, dass das Medizin- oder Pflegepersonal besser ausgestattet und bezahlt wird? Das liegt auch an unserem Agenda-Setting.“
Dass YouTube nicht dazu beitragen will, „Fake News“ zu verbreiten, findet Lindh nachvollziehbar und gut. Dass aber eine Dokumentation, in der Corona-Skeptiker und Corona-Leugner im O-Ton vorkommen, nun gesperrt wurde, kommentiert der SPD-Politiker so: „Da ist ein absolut demokratischer Vorgang komplett falsch verstanden worden. Ein Beispiel, dass Selbstregulierung bisher nicht funktioniert.“ Für die Szene der Corona-Skeptiker und Corana-Leugner findet Helge Lindh übrigens klare Worte: „Das ist keine nüchterne, unschuldig-demokratische Bewegung mehr.“
Das Medienprojekt hat seinen Film „Misstrauisch“ unterdessen auf den Plattformen Vimeo, Facebook und Instagram veröffentlicht. Dort jeweils ohne Probleme.