Habibs neue Heimat
Habibullah, genannt Habib, ist 17 Jahre alt. Ein scheinbar normaler Jugendlicher mit dunklen Haaren. Doch in seinem Leben gibt es Momente, in denen er nicht weiß, wo er gerade ist. Dann läuft der Film in seinem Kopf ab.
Ein Film von einer fast endlosen Flucht, die in Wuppertal endete — mit der Aussicht auf ein neues Leben.
"Ich wusste nicht, ob ich am nächsten Tag etwas zu essen und zu trinken habe. Oder ob ich lebe oder nicht", erinnert er sich. Geflohen vor den Taliban hat der junge Afghane 13 Jahre lang illegal im Iran gelebt. Ohne Schule, ohne Hobbys, ohne das Leben eines normalen Kindes. Fußball spielen durfte er nicht — zu groß war die Sorge der Eltern, dass er sich verletzt und nach einem Arztbesuch alle das Land verlassen müssten. Später schlug er sich als Jugendlicher ein Jahr lang in Europa durch. Seine Familie blieb in der Türkei. Er hat keinen Kontakt und kann nur hoffen, dass es allen gut geht.
Habib ist im April in Wuppertal gelandet. Zurückhaltend, fast scheu, schaut er auf den Boden, wenn er gelobt wird. "Habib lernt schnell", sagt die Dame neben ihm. Er lebt in einer Jugendhilfeeinrichtung und geht in die Förderklasse der Gesamtschule Langerfeld. Dafür, dass er erst so kurz hier ist, spricht und versteht er schon verblüffend gut Deutsch. Es war ein Projekt der Diakonie, das Habib Halt gab. Über "Do it! Transfer" bekam der 17-Jährige einen Vormund zugeteilt. Die Ehrenamtler sind Ansprechpartner und rechtlicher Vertreter, zum Beispiel in der Schule. Die Vormünder werden in Schulungen vorbereitet. Sie sprechen mit Traumatherapeuten oder der Jugendhilfe und erfahren alles zum Thema Asyl.
60 Vormünder gibt es bereits in dem Projekt, das seit 2002 läuft. 38 von ihnen betreuen aktuell ein sogenanntes Mündel. "Wir können die Integration der Jugendlichen durch die gezielte Hilfe deutlich verbessern", sagt Projektleiterin Katrin Löffelhardt von der Diakonie. Und sie entspannen durch ihr Ehrenamt die Situation der gesetzlichen Amtsvormünder, auf die schon mal 50 Mündel pro Betreuer kommen — Flüchtlinge wie Deutsche.
Zurück zu Habib und seinem Vormund. Die 66-jährige Inge Hanten erinnert sich noch sehr gut an das erste Treffen im Juni: "Wir haben uns erst einmal mit Hilfe eines Tablets und viel durch Mimik und Gestik verständigt", sagt sie. Obwohl fast 50 Jahre zwischen den beiden liegen, entstand schnell ein Vertrauensverhältnis. Morgens und abends schreiben sie sich per Whatsapp, wie Habibs Tag war — so eine enge Beziehung gibt es zwischen Mündel und Vormund nicht häufig, sagt Katrin Löffelhardt. Das kommt Habib zugute, der zum ersten Mal in seinem Leben eine Schule besucht. "An meinem ersten Schultag habe ich gedacht, was ist denn hier los?'", sagt er lachend.
Im nächsten Jahr entscheidet sich, in welche Klasse er eingestuft wird. Dann will er weiter an seinem Traum arbeiten: Bauingenieur werden und Wohnungen für Menschen bauen. Bald macht er ein Praktikum in einem Architekturbüro, das ihm Inge Hanten vermittelt hat. Das Wichtigste wird sein, ob der laufende Asylantrag angenommen wird. Habib hofft es sehr: "Ich habe in Afghanistan keine Chance bekommen, im Iran und in der Türkei auch nicht. Aber hier in Deutschland will ich sie nutzen, wenn ich sie kriege", sagt er.