Wuppertaler Gehörlosengemeinde Mit Händen reden und Augen hören

Wuppertal · Karin Weber ist seit 38 Jahren Pfarrerin der Gehörlosengemeinde in Wuppertal. Zum „Tag der Gebärdensprache“ (23. September 2023) gibt sie Einblick in einen Job, den sie als „absolute Horizonterweiterung“ sieht.

Pfarrerin Karin Weber.

Foto: Sabine Damaschke

Direkt Augenkontakt aufnehmen, deutlich reden und klar sein in Wort, Gestik und Mimik: Wer Karin Weber trifft, merkt ihr die vielen Jahre als Gehörlosenseelsorgerin an. „Gehörlose reden mit den Händen und hören mit den Augen“, erklärt die Theologin. „Deshalb ist es wichtig, dass sie ihr Gegenüber gut sehen und sich darauf konzentrieren können.“ Eine Maxime, die – so ist Karin Weber überzeugt – aber durchaus auch für diejenigen gilt, die gut hören können. „Wir alle profitieren davon, wenn wir unser Leben menschenfreundlich und barrierefrei gestalten.“

Für gehörlose Menschen da sein, aber auch mit ihnen leben und von ihnen lernen – das war Karin Weber schon wichtig, als der Begriff der „Inklusion“ noch nicht in aller Munde war. Als sie 1985 nach dem Vikariat ihre Pfarrstelle als Gehörlosenseelsorgerin in Wuppertal antrat, musste sie die Gebärdensprache erst lernen. Vier Jahre pendelte sie dafür zu Kompaktkursen, die die Hamburger Universität anbot, denn damals gab es nur wenige Ausbildungsgebote.

Drei Kirchenkreise, eine Gebärdenkirche

Zeitgleich hieß es „Learning by doing“ in der Gehörlosengemeinde, die sich seit 1969 in der Wuppertaler Philippuskirche trifft und eine von insgesamt 19 Gehörlosengemeinden in der Evangelischen Kirche im Rheinland ist. Die etwa 200 Mitglieder kommen aus den Kirchenkreisen Wuppertal, Niederberg und Düsseldorf-Mettmann. Das Gemeindehaus, das sie gemeinsam mit der hörenden Gemeinde nutzt, sei ein Vorteil, den nicht alle Gehörlosengemeinden der rheinischen Kirche hätten, sagt Karin Weber.

Verlässlicher Ort für die Gehörlosengemeinde – die Philippuskirche.

Foto: Sabine Damaschke

Die Angebote der Gehörlosenseelsorge umfassen alle Bereiche kirchlichen Lebens, dazu zählen Sonntagsgottesdienste, Taufen, Konfirmationen, Trauungen und Beerdigungen. Auch Kinder-, Jugend- und Familienarbeit sowie Angebote für Seniorinnen und Senioren gehören dazu. „Die Gottesdienste für gehörlose Menschen finden in Deutscher Gebärdensprache statt; bei besonderen Anlässen wird für Hörende in Lautsprache übersetzt.“

Alltag mit vielen Hürden

Nicht nur die Gebärdensprache hat Karin Weber lernen müssen, sondern „auch, wie die Welt der Gehörlosen tickt“. Gebärdensprache sei eben kein Handicap, sondern eine Kultur, ist sie überzeugt. Als Seelsorgerin hat sie oft von Ausgrenzung, Vorurteilen und zermürbenden Auseinandersetzungen mit Behörden um Unterstützung im Alltag, um Hilfsmittel, Schul- und Ausbildungsplätze erfahren.

„Die Eltern gehörloser Kinder haben alle im Alltag mit vielfältigen Problemen zu kämpfen“, erzählt die Pfarrerin. „Ich versuche, ihnen den Rücken zu stärken und erlebbar zu machen, dass sie und ihre Kinder von Gott angenommen sind. Die Gemeinschaft in der Gemeinde ist wichtig, weil sie sich gegenseitig bestärken und unterstützen.“

Auch mit der hörenden Gemeinde gebe es einen guten Austausch, von dem alle profitierten, meint die Theologin. Sie betreut die Gehörlosengemeinde mit einer halben Pfarrstelle. Die andere Hälfte ihrer Zeit arbeitet sie als Gemeindepfarrerin in Uellendahl-Ostersbaum. „Wir leben hier schon lange Inklusion“, betont sie.

Mauern überwinden, barrierefrei werden

Das Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderung soll auch künftig in der Gemeinde gelebt werden, wenn die kleine, schlichte Philippuskirche 2024 samt Pfarrhaus verkauft wird. Dafür wird das Gemeindezentrum am Röttgen optisch, akustisch und für gehbehinderte Menschen barrierefrei und „ein Ort für alle“.

„Das Problem ist nicht derjenige, der die Mauer nicht überwinden kann, sondern die Mauer selbst“, sagt Karin Weber und spielt damit auf die Gebärde für den Begriff „Behinderung“ an. Dabei stoßen die Finger der einen Hand auf die Fläche der anderen, die eine Mauer symbolisiert.