Die Tricks der großen Ketten: Zuckerbrot gegen Kundendaten

Als Wuppertaler ist man ihren Anblick gewöhnt: Ob nun Baumarkt, Discounter, Kleider- oder Möbelgeschäft. Der Klein-Einzelhändler ohne Filialen gehört zu einer aussterbenden Gattung, der freiwerdende Platz wird von großen Ketten eingenommen.

Mit der Kundenkarte zum Freund des Unternehmens. Das lassen uns Ketten gerne glauben. Dahinter steckt jedoch kaltes Kalkül.

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Ganz wertneutral betrachtet hat das für uns als Kunden einige Vorteile — denen man aber mit einem gesunden Argwohn entgegentreten sollte. Denn, das zeigt der folgende Artikel, aus reiner Nächstenliebe ist man dort nicht so nett zu uns.

Der moderne Einzelhandel ist ein wortwörtliches Milliardengeschäft. Wo in früheren Jahren ein einzelnes Geschäft vielleicht einige hunderttausend Euro (oder damals D-Mark) Umsatz im Jahr machte und damit große Erfolge feierte, hat das große Ladensterben in Verbindung mit dem Online-Boom dazu geführt, dass viele Kleine durch wenige Große ersetzt wurden. Wo einst der Eisenwarenhändler sein Angebot auf vielleicht hundert Quadratmetern feilbot, dem Möbelschreiner eine Hinterhofwerkstatt genügte, sind Ketten, ganz gleich welcher Ausrichtung, um ein Vielfaches größer — sowohl in der Fläche, wie dem Angebot und seinen Umsätzen.

Der große Kundenvorteil, viele Produktgruppen unter einem Dach zu finden, ist für die Unternehmen selbst sehr teuer und aufwendig.

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Diese Größe hat natürlich zunächst einmal immense Kundenvorteile. Um beim Beispiel vom Eisenwarenhändler zu bleiben, darf der geneigte Leser sich nun mal vorstellen, er wollte zuhause eine neue Tür installieren. Früher wäre das ein Spießroutenlauf gewesen:

  1. Erst zum Eisenwarenhändler, um Schrauben, Scharniere und Beschläge zu kaufen
  2. Dann quer durch die Stadt, um beim Schreiner ein Türblatt zu bekommen
  3. Anschließend noch zum Schlüsseldienst, um den Schließmechanismus zu erstehen

Heute geht es für alle "Zutaten" zu Bauhaus, Hornbach und Co. Extrem komfortabel zwar, aber für den Kunden eben auch mit Nachteilen verbunden, die er selbst gar nicht sieht.

Um diese Nachteile zu erklären, muss man einen Blick auf diese großen Unternehmen werfen. Denn Größe macht träge. Bei solchen Einkaufspalästen ist es notwendig, sehr viel mehr Geld einzunehmen, um die Größe zwischen Sortiment, Miete und Personal auch zu bezahlen. Werden dort nicht gleich mehrere Millionen Euro umgesetzt, rentiert sich die Filiale schon nicht mehr — und wird dann oft auch ohne viel Federlesen geschlossen. Hier unterscheiden sich die Probleme der kleinen Händler leider nicht von denen der großen.

Ergo wird viel getan, um Kunden ins Geschäft zu bekommen, sie zu binden und die nötigen Umsätze zu generieren. Und genau hier kommt die Schlagkraft der Großen zur Geltung: Denn sie können durch ihre Finanzkraft viel mehr tun, um sich dem Kunden schmackhaft zu präsentieren. Hierzu gibt es zwei Strategien:

Auch wenn es anders dargestellt wird, aber echte freundschaftliche Kundenbeziehungen sind bei Ketten schon ob der Größe nicht wirklich möglich.

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  1. Kundengewinnung. Techniken, um neue Kunden ins Geschäft zu locken
  2. Bestandskundenpflege, mit denen bestehende Kunden ans Unternehmen gebunden werden

Dabei gilt im Handel die "goldene Regel" dass Neukunden die teurere Variante sind, weil sie nicht nur für umworben werden müssen (etwa durch Werbeaktionen), sondern auch noch als die schwierigeren Kunden gelten, weil es (noch) keine emotionale Bindung zum Geschäft gibt.

Der Vorteil für uns als Kunden ist, dass die Großen mittlerweile tief in die Trickkiste greifen, sowohl um uns anzuwerben wie uns zu behalten. Beispielhaft ist hier Ikea. Denn das Family-Prinzip des Möbelgiganten umfasst gleich mehrere Punkte, die so bei den meisten anderen Ketten auch in ähnlicher Form praktiziert werden:

  1. Basis ist eine Sonder-Mitgliedschaft. Ikea nennt es Family, andere Ketten schlicht "Club". Quintessenz ist aber immer, dass wir in "höhere Kundenweihen" bekommen und dass das Ganze freundschaftlich oder familiär klingt.
  2. Es wird eine entsprechende Karte ausgegeben. Sie dient nicht nur als "Mitgliedsausweis", sondern teilweise als Bezahlkarte oder digitales Rabattmarkenheft. Auf jeden Fall lohnt es sich, sie bei jedem Einkauf vorzulegen
  3. Des Weiteren erhalten Mitglieder Sonderkonditionen. Das können Rabatte sein, aber auch Zugang zu speziellen (vielleicht limitierten) Produkten oder exklusive Vorkaufsrechte bei besonders begehrten Waren
  4. Zusätzlicher Service ist ebenfalls inkludiert. Ikea offeriert allen Family-Mitgliedern pro Einkauf einen kostenlosen Kaffee und eine Transportgarantie — hier sind die Möglichkeiten sehr weit gesteckt.

Ebenfalls ein immer wieder gerne genommenes Mittel sind Gewinnspiele, die natürlich nur unter Mitgliedern ausgelost werden. Ein relativ neues Prinzip sind zudem Zusammenschlüsse mehrerer Unternehmen. Etwa zu dem Zweck, dass Kunden mit einer Kundenkarte bei allen bezahlen können.

Unterm Strich sind das eine ganze Menge Vorteile, da gibt es nichts zu drehen. Denn wer sie clever nutzt, der bekommt eben Rabatte, bekommt seinen kostenlosen Kaffee (oder was das Unternehmen sonst offeriert) und gewinnt mit etwas Glück noch etwas. Allerdings sollte man sich davon nicht allzu sehr "einlullen" lassen. Denn es geht eben nicht um reine Menschenfreundlichkeit.

Der erste Nachteil ist großmaßstäblich, wird aber vielleicht von vielen gar nicht als ein solcher empfunden: solche Maßnahmen dienen immer nur dazu, dafür zu sorgen, dass wir häufiger und zielgerichteter dieses eine Geschäft ansteuern und nicht die Konkurrenz. Wir sind keine "Freunde" oder gar "Familienmitglieder" eines Unternehmens, auch wenn man uns das glauben lässt. Wir sind einfach nur Kunden, die möglichst oft möglichst viel Geld dort ausgeben sollen und nicht woanders. Das freundliche Du-Gebaren soll nur dafür sorgen, dass wir uns mit dem Unternehmen identifizieren.

Ein kostenloser Snack, Gewinnspielteilnahme, Rabatte. Das sind echte Vorteile, für die wir allerdings versteckt bezahlen.

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Und all die Rabatte, kostenlosen Produkte und Gewinne gehen nicht zu finanziellen Lasten des Unternehmens, sondern werden von den Clubmitgliedern durch ihre vergrößerte Einkaufsrate praktisch selbst bezahlt. Die Vorteile dienen letztlich nur dazu, uns zu lenken — vielleicht wissen wir, dass wir ein Produkt woanders billiger bekämen. Aber weil wir ja Clubmitglied sind und auf Punkte scharf sind, gehen wir trotzdem dorthin.

Regelrecht perfide wird es, wenn die Clubmitgliedschaft gestaffelt wird: Man bekommt also umso mehr Anreize versprochen, je mehr und je öfter man in diesem Geschäft kauft. Unterstützt wird diese Taktik dadurch, dass wir regelmäßig Überblicke über unseren Punktestand mit Sätzen wie "Nur noch X Punkte bis zur nächsten Stufe" zugesendet bekommen. Dahinter steckt schon beinharte Psychologie, der sich auch ansonsten resistente Menschen kaum entziehen können, weil dadurch direkt das Belohnungszentrum in unserem Gehirn angesprochen wird.

All diese Nachteile ließen sich, wenn man lernt, die Lockangebote zu erkennen und nur zu seinem Vorteil zu nutzen, vielleicht noch vermeiden. In unserer digitalisierten Zeit kommt jedoch noch etwas anderes hinzu: Keine Kundenkarte kommt mehr ohne goldig-glänzenden Chip auf der Vorder- und/oder mattschwarzen Magnetstreifen auf der Rückseite aus.

Natürlich wird über diese Technik bei jedem Einkauf unser Punkteguthaben aufgeladen — gleichzeitig verraten wir jedoch direkt dem Unternehmen, was wir wann wie häufig und in welcher Menge kaufen. Wo das Unternehmen sonst nur nackte Einkaufszahlen ohne Gesicht hat, bekommt es durch die Kundenkarte einen Namen. Es weiß ganz genau, welche Werbung Max Mustermann zugesendet bekam. Und kauft dieser einen Tag später ein genau darin beworbenes Produkt, hat das Unternehmen einen Nachweis, dass seine Werbetaktik aufgeht oder eben nicht.

Karten machen uns zum buchstäblich gläsernen Kunden, von dem das ausgebende Unternehmen alle relevanten Dinge frei Haus mitgeteilt bekommt — gegen ein paar Prozent Rabatt, die sich auf der Jahresabrechnung nicht messen lassen und einen kostenlosen Donut.

Fazit

Letztendlich dienen all die Anreize nur dazu, besser zu wissen, was wir wollen und somit mehr Gewinne zu erwirtschaften.

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Große Ketten machen allein durch ihre Größe den Einkauf für uns komfortabler. Doch ihre Größe verpflichtet sie dazu, uns viel stärker zu umwerben und unsere Daten zu bekommen. Natürlich sind die Rabatte und Sonderangebote für uns reale Vorteile. Allerdings sollte sich jeder Kunde gewahr werden, dass man ihm sie nicht aus reiner Freundlichkeit gewährt, sondern nur aus Kalkül. Denn auch wenn sich Unternehmen familiär geben, je größer sie sind, desto weniger stimmt dieses Image.