Betrüger im Helios Klinikum aufgeflogen Krankenhauswanderer mit Münchhausen-Syndrom
Wuppertal · Jahrelang hatte sich Bernd U. unter falschem Namen und als Privatpatient in Krankenhäuser einliefern lassen, um sich dort Pakete anliefern zu lassen und Mitpatienten zu bestehlen. Im Helios Klinikum hatte ihn eine Krankenschwester erkannt und die Polizei gerufen. Wegen Betruges wurde der 55-Jährige jetzt zu vier Jahren Haft verurteilt
Der Patient kam als Notfall ins Helios Klinikum. Am Vorweihnachtstag 2016, mit Verdacht auf Epilepsie. Wirklich krank schien er nicht gewesen zu sein, aber das war nichts Ungewöhnliches. In Krankenhäusern kennt man dieses Phänomen: Manche Menschen leiden in der Weihnachtszeit derart unter Einsamkeit, dass sie sich gerne mit vermeintlichem Unwohlsein ins Krankenhaus einliefern lassen.
Auf diese Weise war auch Bernd U. auf der neurologischen Station gelandet – so schien es zumindest. Am fünften Tag seines Aufenthalts auf der Privatstation wurde eine Krankenschwester stutzig: Das Gesicht kam ihr bekannt vor, sie hatte den Mann vor drei Jahren schon mal gesehen. Damals hatte ein Mitpatient den Verlust seiner Scheckkarte beklagt, da war Bernd U. schon wieder weg. Und auch diesmal war er schnell wieder aus dem Helios Klinikum getürmt, die Sache schien ihm zu heikel geworden zu sein. Der Chefarzt, den er als Privatpatient unbedingt an seinem Krankenbett hatte sehen wollen, soll ihn auf Probleme mit seiner Versicherung angesprochen haben. Sein Name sei dort nicht bekannt, man wolle die Kosten nicht übernehmen. Dazu kam die Erinnerung der Krankenschwester an seinen Aufenthalt vor drei Jahren, der mit dem Diebstahl in Verbindung gebracht worden war. Die Frau rief die Polizei – als die jedoch kam, war Bernd U. schon über alle Berge. In der Eile hatte er seine Tasche im Krankenzimmer vergessen und darin fanden die Beamten später nicht nur Fingerabdrücke, sondern auch Rechnungen von Onlineversandhäusern und Versicherungen. Der Betrüger war weg – und dennoch kam die ganze Sache ins Rollen.
Bernd U. soll über Jahre hinweg in Krankenhäusern eingecheckt sein und das nicht nur, um sich unter falschen Namen behandeln zu lassen. Er soll dazu auch noch Mitpatienten bestohlen und Waren bestellt haben, die er sich als Wohnungsloser ins Krankenhaus-Foyer liefern lies. Bezahlt hat er die Sachen nicht – stattdessen will er sie durch Hehlerei zu Geld gemacht haben. Das Amtsgericht verurteilte Bernd U. nun wegen mehrfachen Betruges vier Jahre später zu vier Jahren Haft. In anderen Fällen wird noch gegen ihn ermittelt.
Die Masche? In den diesmal angeklagten Fällen immer die gleiche. Ins Franziskus Hospital Bielefeld ließ er sich mit dem Rettungswagen chauffieren, den sollen Passanten gerufen haben, nachdem er auf der Straße bewusstlos zusammengebrochen war. In der Klinik aufgenommen wurde er als „Heinrich Traue“ – privatversichert, die Behandlungskosten solle man ihm in Rechnung stellen. Einzelzimmer? Dass müsse dann doch nicht sein, da genüge auch ein Zweibettzimmer. Aber den Chefarzt würde er schon gerne sehen. Nach der Entlassung vier Tage später ging´s gleich weiter nach Gütersloh – mittlerweile mit einem Doppelnamen: „Heinrich Traue-Steffen“.
Wieder im Rettungswagen, auch diesmal ein Notfall. Privatpatient, Zweibettzimmer und der Chefarzt kommt zur Visite. Drei Wochen später dann die Uniklinik in Düsseldorf: Notaufnahme, irgendwas mit dem Herz. Als man sich die Sache dort genauer anschauen wollte, entließ sich „Bernd Specht“ am nächsten Tag selbst – um kurz darauf mit der gleichen Diagnose, aber diesmal als „Ulrich Graf „ - in der nächsten Klinik vorstellig zu werden. Auch dort kam der Chefarzt, und rechnete später 700 Euro für seine Dienste ab. Auf der Rechnung standen dazu auch noch 2.100 Euro Pflegekosten für fünf Tage auf der Privatstation. Die Entlassung am 23. Dezember 2016 kam unpassend, so kurz vor Weihnachten. Im Wuppertaler Cafe „Extrablatt“ brach „Ulrich Graf“ noch am selben Tag zusammen. Der herbeigeeilte Notarzt schickte den Patienten mit dem Rettungswagen ins Helios Klinikum.
In alle Kliniken hatte sich der wohnungslose „Patient“ nicht nur unter falschem Namen einliefern, sondern sich auch noch Pakete per Express-Post zustellen lassen. Es musste ja schnell gehen - schließlich musste er sich fix wieder entlassen können, bevor der Schwindel aufflog. So drei bis vier Tage würde es dauern, bis bei den Versicherungen die Alarmglocken läuten – das will er so in den AGB´s gelesen haben. Und bis dahin musste er weg sein. Hätte er in Gütersloh nicht auch noch vom Krankenbett aus eine Sex-Hotline angerufen, was dort zur vorzeitigen Abrechnung der Telefonkosten geführt hatte: Er hätte wohl als vermeintlicher Selbstzahler noch ein paar Tage länger bleiben können.
Knochenkrebs, Herzinfarkte und zwei Schlaganfälle? Glaubt man dem psychiatrischen Gutachter, stimmt davon nichts. Wie sie in den Krankenakten immer weiter fortgeschrieben werden konnten bis hin zur Annahme, der vermeintliche Patient leide an Krebs und seine Tage seien gezählt? All das habe Bernd U. mit simulierten Krankheitssymptomen und Einweisungen in Krankenhäuser selbst vorangetrieben. Untersuchungen seien entweder nicht gemacht worden oder der betrügerische Simulant sei weg gewesen, bevor der Chefarzt zur Tat schreiten konnte. Auf den Stationen sei er sogar als Schmerzpatient geführt und ihm seien Opiate verabreicht worden. Seine angebliche Drogensucht, wegen der ihn die Rentenversicherung von einem zwischenzeitlichen Haftaufenthalt in eine Entzugsklinik hatte schicken wollen? Auch die stehe zwar in den Akten, sei aber wie auch alles andere keineswegs durch medizinische Befunde belegt. Vom psychiatrischen Gutachter ist dazu zu hören, der Angeklagte leide unter dem Münchhausen-Syndrom und seine angeblichen Krankheiten müssten für Krankenhausaufenthalte und Betrügereien herhalten.
Den „echten“ Heinrich Traue, dessen Namen er neben anderen Schein-Identitäten für seine Betrügereien benutzt hatte, will Bernd U. in Minden in einer Kneipe getroffen und bei ihm übernachtet haben. Irgendwann in dieser Nacht will er nach den Geburtsdaten gesucht und sie gefunden haben. Der Mindener Pensionär hingegen beteuert, den Betrüger nicht zu kennen. Wegen einer chronischen Erkrankung müsse er viel Zeit in Krankenhäusern verbringen - dort könnte der 68-Jährige seinem Doppelgänger begegnet sein.
Im November 2016 hatte der Paketbote zum ersten Mal bei ihm vor der Türe gestanden mit einem Karton, aus dem Traue ein paar Sportschuhe in Große 42 auspackt. Kurz darauf findet er eine Rechnung vom Sankt-Elisabeth-Hospital in Gütersloh in seinem Briefkasten, dort soll der mittlerweile 68-Jährige vom Krankenzimmer aus für 90 Euro mit Sex-Hotlines telefoniert haben. Angebliche Krankenhausaufenthalte und Versandhandelsrechnungen: Über die Jahre hinweg sollen so mehrere Zehntausend Euro zusammengekommen sein. Es folgten die Kreditzusage einer Schweizer Bank und Zahlungsaufforderungen von Inkassounternehmen. Irgendwann erklärt die Schufa Heinrich Traue, dass er nun nicht mehr kreditwürdig sei. Der musste derweilen Mahnverfahren stoppen und überall erklären, dass ein anderer seine Identität gestohlen hat: Bernd U. - der nun erst mal vier Jahre in Haft sitzt.