Oper Wuppertal Steam-Punk am Herodes-Hof

Wuppertal · Die Oper startete mit Richard Strauss’ „Salome“ in die Spielzeit. Üppiger Abend der Gefühle, Kostüme, Stimmen – großes Kino des Sinfonieorchesters.

Der berühmte Schleiertanz beginnt. Helena Juntunen als Salome mit König Herodes (Matthias Wohlbrecht). Im Hintergrund Königin Herodias (Gundula Hintz).

Der berühmte Schleiertanz beginnt. Helena Juntunen als Salome mit König Herodes (Matthias Wohlbrecht). Im Hintergrund Königin Herodias (Gundula Hintz).

Foto: Bettina Stöß

Keine leichte Kost, die Richard Strauss 1905 auf die Bühne brachte – inspiriert von Oscar Wildes kurz zuvor entstandenem Stück „Salome“, das von der Bibel inspiriert ist. Beide Einakter – Wildes Stück und Strauss’ 105-Minuten-Oper – waren Skandale. Trotz Bibel-Vorbild.

Im Opernhaus gab’s eine Inszenierung von Andrea Schwalbach, die optisch-emotional ohne Rückhalt in die Vollen greift. Und eine von Patrick Hahn dirigierte Strauss-Musik, bei der das Sinfonieorchester sich faszinierend auf den Punkt präsentierte. Sehr stark in den mächtig expressiv-expressionistischen Sequenzen. Sehr berührend, wenn in den Abschnitten, wo minutenlang niemand singt, wenn nur Gesten oder Mimik die Bühne bestimmen, ganz leise Holzbläser oder einzelne Violinen-Saitenklänge die Stille instrumentieren.

Still ist es ansonsten selten. Die Geschichte von Salome, der Stieftochter des Königs Herodes, der ihr verfallen ist, und von Jochanaan, Johannes dem Täufer, dem Salomé verfällt, ist auch nicht gemacht für „leise Töne“. Schon, weil es um ausufernde Emotionen geht – und um einen abgeschlagenen Kopf. Sowie darum, was eine dysfunktionale (sprich: kaputte) Familie mit ihren Beteiligten macht.

Im aufs nackte Notwendige reduzierten Bühnenbild setzt Ausstatterin Britta Leonhardt auf schräg-faszinierende Kostüme. Das Opernhaus wird zur düsteren Arena, in der sich Styles des Steam-Punks mit Optik-Elementen von Science-Fiction-Epen mischen. Dagegen setzt Salome eine kurzhaarige Annie-Lennox-Erscheinung – im Outfit einer Judo-Kämpferin.

Sie, die Titelrolle, singt (als Gast) Helena Juntunen: Von kraftvoll bis verhalten spannt sich ihr Bogen. Eigenwillig trägt sie die Last einer Handlung, die sich als Einheit von Ort und Zeit abspielt.

Salomes Schleiertanz setzt einen erstaunlichen Kontrapunkt: Die Prinzessin zieht sich nicht etwa aus, sondern vielmehr an – bis sie quasi ihrer Mutter gleicht. Marionettenhaft verzögert bewegt sie sich, als sei sie von fremden Fäden gezogen. Am Ende, als sie unbeirrt ihren „Tanz-Lohn“, den Kopf des Jochanaan, der sich von ihr nicht küssen ließ, einfordert, singt sie fast beschwörend. Wie jemand „im Tunnel“, der nur noch ein Ziel kennt.

Den lüstern-trunksüchtigen Stiefvater Herodes, von dem Salome sich die Erfüllung jeden Wunsches schwören lässt, singt Gast Matthias Wohlbrecht als im Sumpf versinkender, verzweifelter König. Als seine Frau Herodias, Salomes Mutter, ist Gundula Hintz (als Gast) die holzschnittartige Böse, Rachsüchtige – und dabei sehr laut. Oft zu laut.

Der Held dieser Oper, der erst spät seinem Verlies entsteigt, heißt Jochanaan: Als zum ersten Mal – aus der Tiefe – seine Stimme erklingt, sorgt (als Gast) Michael Kupfer-Radecky für Gänsehaut. Der Prophet und Wegbereiter Jesu Christi dominiert mit Körper, Kraft und religiöser Weltabgewandtheit die Bühne. Jochanaan und Salome haben hier bemerkenswerte Momente (fast) körperlicher Nähe. Doch er bleibt der hartleibige Moralapostel. Sie der emotionale Grashalm im Wind. Erst als die Prinzessin den abgeschlagenen Kopf (ohne Silbertablett!) in den Armen hält, sind sie sich nah. Und fremder denn je.

Die Welt am Herodes-Hof liegt in Trümmern. Der König begreift. Die Schuld sucht er nicht bei sich: Salome soll sterben. Aber die Wuppertaler Inszenierung setzt im letzten Moment einen eigenen Akzent: Das Schwert, das zwischen ihr und dem Stiefvater liegt, ergreift Salome. Was sie damit tun wird, versinkt im Dunkel des erlöschenden Bühnenlichtes.

Diese „Salome“ ist eine stark orchestrierte, mit viel Kostümfarbe aus der Finsternis herausgeschälte Psycho-Studie. Ein Abgrund. Kann man irgendwen aus dem Personal dieser Geschichte mögen? Nein. Zu viel Fehlgeleitet-Sein, zu viel Kompromisslosigkeit überall.

Begeisterter Premieren-Applaus. Mit viel „hauseigener“ Herzlichkeit (denn arg viele Gäste in den großen Rollen waren es schon) für Sangmin Jeon, der als in Salome verliebter Narraboth früh in den Selbstmord geht, und Edith Grossman, die als Page der Königin die Hinrichtung des Propheten übernimmt.