Schönberg und Ethel Smyth im Opernhaus Liebeswahn, Liebesleid und ein totes Reh
Wuppertal · Mit dem 90-minütigen Doppelabend „Erwartung/Der Wald“ verbindet die Wuppertaler Oper zwei kurze, eindringliche Stücke vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Das passt, zieht in den Bann – und nimmt am Ende mächtig Fahrt auf.
Das sehr kurze Monodram „Erwartung“ von Arnold Schönberg aus dem Jahr 1909 eröffnet das Ganze. Es folgt – von Regisseur Manuel Schmitt elegant und quasi kreisförmig verknüpft – das 1902 entstandene Musikdrama „Der Wald“ von Ethel Smyth. Sie war zu ihrer Zeit als Frau in der Musikszene eine Seltenheit, musste sich nicht nur gegen ihren Vater, sondern auch gegen die komplett männerdominierte Komponisten- und Dirigentenwelt durchsetzen.
In der Wuppertaler Version von Schönbergs „Erwartung“ betritt eine Frau eine Hotelrezeption. Sie klingelt, doch niemand kommt. An der Wand ein großes Gemälde – expressionistisch. Die Musik dazu „funktioniert“ ebenso. Mezzosopranistin Hanna Larissa Naujoks und das von Patrick Hahn geleitete Sinfonieorchester harmonieren ausgezeichnet, schaffen gesanglich-klanglich eine soghafte, gefühlsstarke Atmosphäre. Wer – apropos Schönberg – allzu viel Angst vor Dissonanz hätte, muss sich nicht fürchten.
Die Frau bleibt allein. Bis auf eine Reihe von seltsamen „Gestalten“, die ab und zu am Fenster und im Raum auftauchen. Sind sie wahr oder eingebildet? Die Frau „spricht“ mit einem Mann. Er ist tot. Sie hat ihn sehr geliebt. Er erscheint ihr, hat eine Axt bei sich. Warum lebt er nicht mehr? Der wahnhafte Zustand, in dem sie sich befindet, erreicht ausdrucksstark die Zuschauerreihen im Opernhaus.
Etlichen der „Gestalten“, auch dem Mann mit der Axt, wird das Publikum in „Der Wald“ wiederbegegnen. Ebenso dem toten lebensgroßen Reh, das in einem Schrank versteckt war ...
Als die Frau wieder allein ist, zerreißt sie das Bild an der Wand und verschwindet durch es hindurch. Wohin geht sie? Ein Transparentvorhang, der Hanna Larissa Naujoks Gesicht in Übergröße zeigt, fällt, hebt sich wieder – und „Der Wald“ beginnt.
Sozusagen unmerklich verändert sich die Musikfarbe vom Expressionismus zur Romantik, die überzeugend eingerichtete Bühne (Julia Katharina Berndt, die auch für die Kostüme verantwortlich zeichnet) öffnet sich nach hinten ins neblige Dunkel. Waldgeister beherrschen sie Szene: Opern- und Extrachor der Bühnen sind optisch und stimmlich in bester Wieder setzt der Sog ein. Jetzt der eines Märchens. Gut ausgehen wird es nicht.
Hier im Wald geht es um Röschen (Mariya Taniguchi), die auf den Holzfäller Heinrich (Sangmin Jeon) wartet, um ihn zu heiraten. Doch ein Schatten liegt auf alldem. Das Ensemble, das auch hier wunderbar mit dem Sinfonieorchester zusammenklingt, lässt diese immer dunkler, bedrohlicher werdende Stimmung hautnah spüren.
Heinrich hat gewildert – da ist es wieder, das tote Reh (!) – und dafür droht ihm die Todesstrafe. Wir sind im Feudalismus: Waldwild gehört nur dem Landesherren. Das ist Landgraf Rudolf. Der hat eine Geliebte – Jolanthe. Sie nimmt sich die Männer, wie es ihr passt. Als ihr Auge auf Heinrich fällt, ist dessen Schicksal besiegelt: Geht er mit ihr, verliert er Röschen, bleibt er bei Röschen, verliert er sein Leben. Heinrich (Sangmin Yeon füllt diese Rolle mit viel leidendem Leben) entscheidet sich, entgegen Röschens Rat (!), nicht für Jolanthe.
Die singt Edith Grossman. Und das tut sie großartig. Übertrifft sich in ihrer „Alcina“-Rolle als Bradamante deutlich. Ihr Duett mit „Landgraf“ Samueol Park ist einer der Höhepunkte dieses Abends. Das gilt für die psychologisch-emotionale Auslotung ihrer Beziehung – und für die Dimension der Stimmen.
Apropos Höhepunkt: Auch Zachary Wilson als Hausierer und sein „Bursche“ Nika Dönges setzen tolle Akzente. Stimmlich sowie in Sachen ihrer schrägen Kostüme. Wenn „Der Wald“ Richtung Ende geht, werden die Chöre als Waldgeister und Dorfbewohner zu wogenden Schatten: Der Untergang verdichtet sich mit Licht, Stimmen und Musik zu einem intensiven Schluss.
Aus der Dunkelheit erscheint die Frau aus „Erwartung“, nimmt den sterbenden Heinrich in ihre Arme. Der Kreis eines erstaunlichen Opernabends, der das Publikum niemals aus dem Griff gelassen hat, schließt sich.
„Erwartung/Der Wald“ zeigt Frauen voller Kraft, ihren jeweiligen Männern deutlich überlegen, weitblickender. Das „Material“ dieses Doppelabends ist über 100 Jahre alt. Doch passt es punktgenau ins Heute. Und nicht zu vergessen: Das Libretto von „Erwartung“ schrieb die Schönberg-Freundin Marie Pappenheim.
Das alles zusammen darf man schon einen Wuppertaler Opern-Coup nennen. Großer Applaus, viel davon stehend.