Der Künstler Detlef Bach über seinen aktuellen Alltag „Ein leichtes Gefühl von Grusel“
Wuppertal · „Feldpost“ nennt der Wuppertaler Bilder- und Text-Künstler Detlef Bach seinen Brief, den er der Redaktion der Wuppertaler Rundschau gemailt hat.
Die Liebe in Zeiten von Corona: die freiwillige und neuentdeckte Liebe zu (m)einem Alltag. Die Stille, die sich seit Tagen in den Straßen vor meiner Wohnung ausbreitet, ich registriere sie einerseits mit wohltuender Freude, aber anderseits auch mit einem leichten Gefühl von Grusel.
Das liegt wahrscheinlich darin begründet, dass jeder Tag sich gerade neuer als neu anfühlt. Ich meine, bis dato hatte ich ganz genaue Vorstellungen von meinem Alltag und seiner sehr angenehmen Routine. Ich stand auf, frühstückte in Ruhe, um später zuerst ins Café zu gehen, um dort einen obligatorischen Cappuccino zu trinken oder aber auch Postkarten und Briefe dort zu schreiben. Danach ging ich stets in mein Atelier, um an meinen Kunstwerken weiter malen zu können. Dieses langjährige Alltagsritual hat sich, so will es mir scheinen, tief in meine DNA eingegraben, es hat Spuren in meinem Denken über die Welt hinterlassen. Diese Routine ist der Grund für all die Schmucknarben auf meiner Seele.
Wenn ich jetzt zur Zeit in den Spiegel blicke, betrachte ich dieses Muster aus und auf meiner Vergangenheit, kann ihm aber noch kein neues Zeichen hinzufügen. Ich muss mich und eine neue Routine wohl erst wieder neu erfinden. Deshalb nehme ich mir Dinge vor wie zum Beispiel die Reise durch mein Zimmer. Ich unternehme kleine Expeditionen von dem Küchenfenster zum Wohnzimmerfenster und wieder zurück. Alles ist im Moment ein Spiel, das ich mir ausdenke, um mich abzulenken. Aber von Zeit zu Zeit berühre ich, mehr durch Zufall als willentlich, die alten Schmucknarben. Sie erinnern mich daran, was mir fehlt.
Es sind diese ständigen, altbekannten Wiederholungen, die mich stets stabilisiert haben. Diese kleinen, aber ständigen Alltagswiederholungen waren mir das Seil, an dem ich mich durch das Labyrinth der Möglichkeiten hangelte, vom Morgen bis zum Abend. Nun stehe ich vor etwas merkwürdig Neuem, was meinem alten Alltag jedoch erschreckend ähnlich sieht.
Dieser neue Alltag, der nun mein Leben bestimmt, er ist wie ein Fremder, der urplötzlich vor meiner Tür stand und Einlass in die Wohnung erbat, freundlich zwar, aber auch sehr bestimmend. Nun ist er also da, sitzt mit mir auf der Couch, isst mit mir zu Mittag, und liegt sogar schon neben mir in meinem Bett. Tatsächlich ist es mir, als würde ich ihn sehr gut kennen. Auf eine ganz bestimmte Art und Weise ist er mir jedoch zugleich äußerst fremd. Das erzeugt in mir ein durchaus zwiespältiges Gefühl.
Ich darf allerdings vermerken, dass ein Gefühl der Freude darüber vorherrscht, etwas neues kennenlernen zu dürfen. Dinge, über die ich mir lange keine Gedanken mehr gemacht habe, sie werden mir plötzlich bewusst. Oder wieder bewusster. Wie zum Beispiel ein Buch noch einmal zu lesen. Oder, unfassbar, die Fenster zu putzen! Solchen Dingen widme ich gerade meine ganze neue Aufmerksamkeit.
Es ist verrückt. Aber ich tue Dinge, scheint es, um den Alltag zu vergessen, der für mich bis dato da draußen im Freien zu finden war. Jetzt suche ich diese Freiheit in meinen eigenen vier Wänden. Stunde um Stunde freunde ich mich mit diesem Alltag mehr an. Und das liebe ich. Denn freiwillige Abhängigkeit ist der schönste Zustand. Und wie wäre der ohne Liebe möglich?