Nach Toreschluss - die Wochenendsatire „öhö“ und „ö-ö“
Wuppertal · Ein heimatsprachsensibler Wuppertaler hat mich neulich auf eine lokale Eigenart hingewiesen, die ich mir noch nie richtig bewusst gemacht habe. Es geht um die weit verbreitete Form der wortlosen Zustimmung oder Verneinung, die sich bei uns lautlich deutlich anders darstellt als im Rest von Deutschland.
Ich meine damit jene Tonfolge, die außerhalb Wuppertals allgemein mit „mhm“ oder „mh-mh“ im Prinzip auch nur unzureichend verschriftlicht wird Denn die Geräusche, die Menschen da beim ablehnenden „mh-mh“ hustenähnlich hervorstoßen und beim bestätigenden „mhm“ teddybärartig ausbrummen, lassen sich nicht wirklich in Buchstaben fassen.
In Wuppertal sieht das ähnlich, aber doch ganz anders aus, weil es bei uns nicht „mhm“ oder „mh-mh“ heißt, sondern „öhö“ oder „ö-ö“. Beispiel-Dialog: „Wieso bisse zu spät? Verschlafen“„ - „ö-ö“ – „Schwebebahn wieder nich gefahren?“ - „öhö“ – „Driete, woll!“ – „öhö, vonne Tauben auffe Weiche“. Nun ist es aber so, dass die Buchstaben „ö“ und „h“ dem hier stattfinden lautlichen Geschehen noch weniger gerecht werden als „m“ und „h“ in der hochdeutschen Version.
Das wird deutlich, wenn wir uns die beiden Tonsequenzen mal im Detail ansehen. Das „öhö“ ist kein reinrassiges „öhö“, sondern besteht im Ein- und Auslaut genau genommen aus einer Mischung aus „ö“ und „ä“, die bei gleichzeitigem Ausatmen durch den halb geöffneten Mund letztlich irgendwie mit letzter Kraft durch die Nase gepresst wird. Im Mittelteil dämpft der Wuppertaler dieses nasale Klanggebilde durch eine kurze Beschleunigung dieses Ausatmens eine Oktave nach unten, so dass insgesamt ein an- und abschwellendes Geräusch entsteht, das wir in ähnlicher Form vom Probealarm öffentlicher Sirenen kennen.
Beim „ö-ö“ entfällt dieser Mittelteil und wird durch einen Sekundenbruchteil apokalyptischer Stille ersetzt, der bei aller Tonlosigkeit doch Bände spricht: In dieser minimalistischsten aller Verneinungsvarianten verdichtet sich jahrhundertelange Erfahrung mit der beschwerlichen Existenz im engen Tal der Wupper zu einem Hauch von lautlichem Nichts. Auf diese Weise können Ureinwohner ihren nicht vorhandenen Hang zur Geschwätzigkeit perfekt mit der genetisch in ihnen verwurzelten Skepsis und der latenten Verzweiflung angesichts der lokalen Verhältnisse kombinieren und all das in eine erschöpfende Antwort auf eine Frage packen, ohne überhaupt etwas sagen zu müssen.
Praxisbeispiel. Ein auswärtiger Besucher wendet sich mit verkniffenem Gesicht in der Elberfelder City an einen Passanten: „Entschuldigen Sie bitte, gibt es hier in der Nähe vielleicht irgendwo eine Toilette? Es wäre sehr dringend.“ - „ö-ö“. „Ist das Ihr Ernst?“ – „ö-h-ö“. Damit ist tatsächlich alles gesagt.
Menschen, die nicht in Wuppertal geboren wurden, können die fragliche Tonfolge übrigens nicht nachbilden. Das ist logisch, weil sie ja nicht über unseren evolutionstraumatisch geprägten Gen-Pool verfügen, der dafür zwingende Voraussetzung ist. Nur wer von klein auf Wuppertaler Ratssitzungen verfolgt, auf der A46 im Stau gestanden, an Haltestellen auf nie pünktliche Busse gewartet, den städtischen Schuldenberg schneller als die eigenen Kinder wachsen sehen und den WSV gegen Mannschaften, deren Namen nicht mal Fußball-Professor Arnd Zeigler kennt, verlieren sehen hat, der kann diesen einzigartigen Ton vorbei an von Protestrufen rau gewordenen Stimmbändern und durch einen gramgebeugten Atemapparat hindurch in Form eines schmerzlich mergelnden „ö“s, das vielleicht auch ein „ä“ mit „oh“ ist, hinaus in die Welt schicken.
Versuchen Sie jetzt mal, „öhö“ und „ö-ö“ stilecht vor sich hin zu sagen. Wenn Sie es nicht schaffen – herzlichen Glückwunsch! Wenn doch, dann sind Sie offensichtlich Wuppertaler. Und falls Sie mich fragen, ob das irgendwann mal weggeht – ö-ö ...
Bis die Tage!