Kommentar über den Corona-Herbst 2020 Einfach mal das Handy weglegen
Wuppertal · Erinnern Sie sich noch an folgende Zeilen? „Wichtig ist der Blick nach vorne. Etwa mit der Erkenntnis, aus den zu Tage getretenen Problemen zu lernen. Zum Beispiel daraus, dass der Föderalismus der Bundesrepublik sich durchaus bewährt hat, in einer solchen Krise aber täglich von Bundesland zu Bundesland oder von Kommune zu Kommune sich ändernde Verordnungen vor allem Durcheinander und Unverständnis schaffen. Sinnvoll wäre für diese Fälle die Zuständigkeit per Bundesseuchengesetz, das dann regional, aber eben einheitlich angewendet wird.“
Geschrieben habe ich sie hier am 28. Juni. Man musste kein Prophet sein, um zu ahnen, dass eine Zerstückelung bis hinein in die Kommunen das bewirken würde, was nun eingetreten ist: Eine große Unsicherheit, die rasch abgelöst wird von Unverständnis. Und das in einer Zeit, die schon vor der Pandemie vor allem durch eines geprägt war: Die immer weiter schwindende Fähigkeit der Menschen, vor allem aber den mangelnden Willen, anderen zuzuhören, zu reflektieren und vor allem nicht spätestens nach dem zweiten Satz zu beleidigen, zu diskreditieren und übel nachzureden, wenn die eigene Meinung nicht direkt und vorbehaltlos bestätigt wird.
Eine Gesellschaft kann nur dann funktionieren, wenn es gemeinsame Regeln gibt. Im Straßenverkehr ist es nicht anders. In einer Demokratie kann es schon einmal passieren, dass die eigene Meinung nicht mehrheitsfähig ist. Das ist für den Betroffenen ärgerlich, aber eben zu akzeptieren. Die in Leserbriefen gerne verwendete Floskel „Die Politiker sollten mal tun, was das Volk will“ ist viel zu oberflächlich. Denn die eine „Volksmeinung“ gibt es gottlob nicht, sondern viele unterschiedliche Einschätzungen. Das ist Demokratie, und das ist gut so.
Wer wirklich glaubt, in Deutschland sei die Meinungsfreiheit eingeschränkt, herrsche Zensur, sollte sich mal in gar nicht fernen Ländern umsehen, was diese Begriffe (und deren Umsetzung) wirklich bedeuten. Was viele inzwischen leider vergessen: Es gibt ein Bürgerliches Gesetzbuch mit Straftatbeständen wie Beleidigung, üble Nachrede, Bedrohung und vielem mehr. Ja, da endet die Meinungsfreiheit. Das war schon immer so, und auch das ist gut so. Es ist der große Vorwurf an die Betreiber der „sozialen“ Medien: Sie haben nur auf den Mammon geschaut und sämtliche Verstöße durchgehen lassen. Erst als die Staaten (zu Recht) eingriffen und mit Druck darauf hinwiesen, dass auch im Netz die gelten Gesetze gültig sind, lenkten Facebook, Twitter und Co. zähneknirschend ein. Da war es zu spät.
Eine Gesellschaft braucht Regeln, am besten klare und verständliche. In der Kindererziehung ist es nicht anders. Damit kommen die Menschen am besten zurecht und akzeptieren dann auch eher, wenn etwas nicht nach dem eigenen Willen läuft. Hauptsache, es gilt für alle. Insofern darf man gespannt am Wochenende nach Remscheid blicken, wo gegen die Corona-Auflagen protestiert werden soll. Beim ersten Mal kamen einige hundert Menschen, standen dicht gedrängt und trugen zum Teil keine Masken. Ein Einschreiten wäre nicht verhältnismäßig gewesen, antwortete die Stadt auf den Proteststurm. Aber dann, wenn zwei Menschen mit fünf Meter Abstand an der Haltestelle stehen und einer keine Maske aufhat? Es muss in beiden Fällen gelten.
Und noch ein Tipp, Helge Schneider hat vollkommen Recht: Zwischendurch einfach mal das Handy weglegen, nicht auf jede Nachricht direkt reagieren. Das Leben hat mehr zu bieten.