Bis zu 30 Prozent mehr Lohn Neue Tarifpflicht in der Pflege

Wuppertal · Höhere Gehälter für das Pflegepersonal, weniger Zeit für Patienten? Das Bundesgesundheitsministerium hat ein neues Gesetz geschaffen: Seit dem 1. September müssen Pflegebetriebe ihre Angestellten nach Tarif zahlen. Für den Wuppertaler Pflegedienst Wessel bedeutet das bis zu 70.000 Euro mehr Lohnkosten pro Monat. Inhaber Michael Wessel zahlt seinen Mitarbeitern gerne mehr, hat dabei aber auch Bedenken.

Michael Wessel.

Foto: Pflegedienst Wessel

„Eine transparente und einheitliche Entlohnung von Pflegekräften ist ein sehr gutes und notwendiges Ziel. Das wurde nun mit der Tarifpflicht erreicht“, sagt Michael Wessel und betont, dass sich seine Bedenken und die Kritik nicht gegen das Lohnplus seiner rund 200 Angestellten richten, sondern gegen die Umsetzung des neues Gesetzes. „Selbstverständlich sollen Pflegekräfte mehr Geld verdienen. Aber die Refinanzierung ist das Problem. Denn die geht zu Lasten der Patienten. Die zahlen nun höhere Rechnungen für ihre Einzelleistungen, während die Höhe des Budgets für Pflegegrade unverändert bleibt.“

Inwiefern nun der zu pflegende Kunde zur Kasse gebeten wird, erklärt Wessel so: „In NRW sind 33 Einzelleistungen gelistet, die abgerechnet werden können. Ein Beispiel: Der Leistungskomplex 19 umfasst unter anderem das Waschen, die Hautpflege, das An- und Auskleiden (und einiges mehr) eines Patienten und kostete bislang 22,14 Euro. Ab dem 1. September wird für diese Leistung 20 Prozent mehr veranschlagt. Die Deckelung für den Gesamtbetrag pro Monat für den jeweiligen Pflegegrad bleibt aber gleich. Bei einem Pflegegrad III sind das 1.363 Euro. Mit den höheren Kosten der Einzelleistung erreicht der Patient nun schneller seinen monatlichen Gesamtbetrag. Der Gesetzgeber holt die Lohnsteigerung für die Pflegekräfte nun beim Patienten ein. Doch was ist, wenn die Kunden sich die Erhöung der Einzelleistungen nicht leisten können?“

Die Konsequenz daraus sei, dass entweder die Pflegedauer der Patienten eingeschränkt werde, oder Leistungen einfach ersatzlos wegfallen. „Alles, was über das Budget des jeweiligen Pflegegrades hinausschießt, übernimmt die Kasse nicht, das muss der Patient aus eigener Tasche zahlen. Wenn er sich das nicht leisten kann, sieht es so aus, dass ein Pflegedienst, der sonst täglich kam, nur noch alle zwei Tage kommt. Oder nur noch ein Mal, statt zwei Mal am Tag“, erläutert Wessel. Schlechtere Versorgung für den Kunden, weniger Einnahmen für den Betrieb, der bis zu 30 Prozent höhere Personalkosten hat.

Aber nicht nur Michael Wessel bereitet die neue Tarifregelung Bauchschmerzen. Alexander Scheyer, Geschäftsführer vom Pflegedienst Scheyer&Partner und erster Vorsitzender des Vereins „Arbeitsgemeinschaft freie ambulante Krankenpflege Wuppertal“, empfindet die Umsetzung der Tarifpflicht handwerklich ebenso misslungen: „Bei den Kosten kann einem nur schwindelig werden. Grundsätzlich sind verbindliche Tarife, um Pflegekräfte besser zu bezahlen, eine sehr gute Sache. Allerdings bleiben mit der Refinanzierung, wie sie nun beschlossen wurde, die Patienten auf der Strecke. Ich glaube, da spreche ich für alle Pflegebetriebe in Wuppertal: Wenn an diesem Gesetz nicht nachgebessert wird, werden es einige Kollegen nicht schaffen. Ich habe bereits aus der Branche gehört, dass manche kurz vorm Aufgeben stehen. Die nächsten Monate werden sehr schwierig, wir müssen sehen, wie sich das entwickelt. Aber die Refinanzierung der Gehaltskosten zu Lasten der Patienten, das kann so nicht bleiben.“