Lage in Deutschland Präsidium der Bergischen IHK verfasst Brandbrief

Wuppertal / Berlin · Das Präsidium der Bergischen IHK hat an Peter Adrian, den Präsidenten der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), geschrieben. In dem Brief machen die Unternehmerinnen und Unternehmer ihre „tiefe Sorge um den Wirtschaftsstandort Deutschland“ deutlich. Der Wortlaut.

IHK-Hauptgeschäftsführer Michael Wenge.

IHK-Hauptgeschäftsführer Michael Wenge.

Foto: Christoph Petersen

Sehr geehrter Herr Adrian,

in tiefer Sorge um den Wirtschaftsstandort Deutschland wenden wir uns mit diesem Schreiben an Sie. Sowohl unsere eigenen Beobachtungen als auch die zunehmend alarmierenden Rückmeldungen unserer Mitgliedsunternehmen zeigen deutlich, dass wir uns an einem Kipppunkt befinden, an dem nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit unseres Wirtschaftsstandorts auf dem Spiel steht, sondern auch der gesellschaftliche Zusammenhalt insgesamt verloren geht.

Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind komplex und hinlänglich bekannt. Die überbordende Bürokratie erschwert die Arbeit unserer Unternehmen zunehmend. Das Land der Erfinder und Macher droht, von den Kräften der Bedenkenträger und Verhinderer dominiert zu werden. Hinzu kommen die hohen Energiekosten, die unsere Unternehmen erdrücken. Trotz kurzfristiger Beruhigung bleiben wir unter den aktuellen politischen Rahmenbedingungen langfristig ein Land mit nicht konkurrenzfähigen Energiekosten. Dies führt dazu, dass immer mehr Unternehmen aus purer Not ihr Glück im Ausland suchen.

Zudem wächst der internationale Wettbewerbsdruck, der viele Branchen in Existenzängste versetzt. Als Exportnation sind wir diese Herausforderungen natürlich gewohnt, doch es wird deutlich, dass andere Wirtschaftsmächte strategisch besser aufgestellt sind.

Der Inflation Reduction Act der USA stellt dabei nur eine kleinere Hürde dar. Viel bedrohlicher ist die zunehmende Strategie Chinas, die deutsche Wirtschaft sowohl materiell als auch intellektuell mit allen verfügbaren, meist unfairen Mitteln, auszuhöhlen. Und wir setzen dem kaum etwas entgegen!Alle diese Herausforderungen werden von einer gesellschaftlichen Haltung begleitet, die in weiten Teilen glaubt, sich auf vergangenen Erfolgen ausruhen zu können. Großzügige Sozialleistungen und der Wunsch nach Besitzstandswahrung führen zu einer Lethargie, die den Leistungsgedanken in unserer Gesellschaft zunehmend zu einem Unwort werden lässt.

Während wirtschaftliche Flexibilität und Engagement in Krisenzeiten wichtiger denn je wären, diskutieren wir stattdessen über ein gesetzliches Recht auf Homeoffice und eine 35-Stunden-Woche. Gleichzeitig beobachten wir eine zunehmende Verrohung und den Verlust von Recht und Ordnung in unserer Gesellschaft, die auch die Wirtschaft nicht länger tolerieren kann. Dies alles lässt sich nicht mit einem ,früher war alles besser‘ abtun. Es ist vielmehr ein ernstes Signal, dass wir uns in einer Abwärtsspirale befinden, aus der wir dringend herausfinden müssen.

Zu der Beschreibung der Gesamtsituation gehört auch die aktuelle Asyl- und Migrationspolitik. Die Ereignisse der letzten Wochen mögen sich nur bedingt zuordnen lassen, doch es ist unübersehbar, dass ein grundlegender Politikwechsel notwendig ist. Es reicht nicht aus, auf einzelne Vorfälle mit kurzfristiger Aktivität zu reagieren, ohne das Gesamtproblem anzugehen. Natürlich sind wir auf Zuwanderung angewiesen, doch gerade deshalb brauchen wir eine Migrationspolitik, die sich klar an wirtschaftlichen Interessen orientiert, und eine Asylpolitik, die eine Balance zwischen humanitären Verpflichtungen und gesellschaftlicher Belastbarkeit findet.

Es wäre zu einfach, die Verantwortung für diese Entwicklungen allein der Politik zuzuschieben. Doch wir müssen feststellen, dass in unseren Gesprächen auf allen politischen Ebenen oft eine erschreckende Kombination aus Unwissenheit und frustrierter Resignation vorherrscht. Wir sehen es als Aufgabe der gesamten IHK-Organisation, hier deutlich Stellung zu beziehen. Die Zeit der leisen Töne ist vorbei.

Sehr geehrter Herr Adrian, dies gilt besonders auch für die DIHK. In unserer Region stößt der ,Kammerton a‘ oft auf völliges Unverständnis. Angesichts der Ernsthaftigkeit der Lage ist es aus unserer Sicht notwendig, dass auch die DIHK neue Wege der politischen Einflussnahme geht und deutliche Worte findet. Die Grenzen des IHK-Gesetzes sind unserer Meinung nach noch lange nicht ausgeschöpft.

Als Vertreter der Unternehmen in unserer Region bitten wir Sie eindringlich, gemeinsam mit uns und allen IHKs in Deutschland im politischen Diskurs deutlich entschlossener und kraftvoller aufzutreten. Nach unserer Ansicht sollten wir diese Themen auch auf der nächsten DIHK-Vollversammlung in den Mittelpunkt stellen und konkrete Beschlüsse und Handlungspakete verabschieden.“