Top Wuppertal Elena Finks musikalische Begegnung zwischen Deutschland und Japan
Wuppertal · Wer Japan und dort Nagoya im Dezember besucht, wird wohl nicht als Tourist einreisen. Dazu bietet die viertgrößte Stadt Japans, an der Südküste im Land der aufgehenden Sonne gelegen, zu dieser Jahreszeit wenig Anreize. Was bewegte also Elena Fink, dort eine Woche Station zu machen?
Bei dem Namen Elena Fink horcht der eine oder andere bestimmt auf. War sie nicht die Koloratursopranistin an der Wuppertaler Oper, bevor man das Ensemble 2014 auflöste? Sie war‘s damals und ist es auch heute noch. Mit dem Unterschied, dass sie nun ihre Karriere andernorts fortsetzt. Stationen in ganz Deutschland gehören ebenso dazu wie ein Abstecher an die New Yorker Met vor drei Jahren. Zahlreiche Preise und Auszeichnungen sowie ein Repertoire von über 50 Partien (Paraderolle: Königin der Nacht von W. A. Mozart) kennzeichnen die Karriere der vielseitigen Koloratursopranistin. Bodenständig ist die gebürtige Pforzheimerin dennoch geblieben. Wuppertal ist und bleibt ihr Heimathafen, nicht zuletzt, weil hier Tochter und Ehemann fest verankert sind.
Dass Elena Fink nach Nagoya eingeladen wurde, ist kein Zufall. Der Hochschullehrer für Trompete, Uwe Komischke, gebürtiger Schwelmer, seit 1994 als Lehrbeauftragter an der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar tätig, und Wuppertalern durch seine regelmäßigen Konzerte mit Thorsten Pech (Orgel) kein Unbekannter, blickt auf eine langjährige Zusammenarbeit mit der Aichi University oft the Arts in Nagoya zurück. Anfang 2018 fragte ihn sein japanischer Manager, Yoshida Ishihara, ob er eine deutsche Sopranistin empfehlen könne, die er für ein Konzert mit Beethovens Neunter Symphonie nach Nagoya einladen könne.
Und da kam Elena Fink ins Spiel. Die Lust auf die angefragte Konzertreise war bei ihr sofort da, denn ihre ersten Japan-Konzerte mit Toshiyuki Kamioka, 2008 in Tokyo, waren ihr eindrucksvoll in Erinnerung geblieben. Das bevorstehende Engagement sollte zudem weitere Anreize bieten: Einerseits würde das Beethoven-Konzert vom Rundfunk mitgeschnitten, um drei Tage vor Weihnachten gesendet zu werden, und andererseits waren noch zwei Kammerkonzerte mit der jungen japanischen Pianistin Mayuko Honda eingeplant.
Elena Fink wurde damit ein attraktives und auf sie zugeschnittenes Programm angeboten, dem sie umgehend zustimmte. Die Bestätigung des Agenten Ishihara ließ dann auch nicht lange auf sich warten und das Programm konnte gemeinsam ausgearbeitet werden. Als begehrte Konzertsängerin mit regelmäßigen Engagements in den Philharmonien in Berlin, Köln, Essen, Luxemburg, der Alten Oper Frankfurt oder dem Festspielhaus Baden-Baden freute sie sich riesig auf ihr Nagoya-Engagement Anfang Dezember 2018. Was würde ihr die geplante Konzertreise nach Nagoya, mit ihren über 2,3 Millionen Einwohnern beinahe eine Megastadt, also zu bieten haben? Dazu später mehr. Warum ist eigentlich Beethovens Neunte Sinfonie, mit gut 700 Aufführungen pro Jahr, ein regelrechter Hit japanischer Konzertprogramme? Da spielt sicherlich die Leidenschaft der Japaner für klassische Musik eine große Rolle.
Wer an Japans Musik denkt, hat vielleicht die großen Taiko-Trommeln oder die zarte Langhalslaute „Shamisen“ vor seinem inneren Auge. Doch Fakt ist, dass seit mehr als 150 Jahren die Werke von Bach, Beethoven, Brahms und Schubert wesentlich gegenwärtiger sind als die japanische Tradition. Der Grund dafür ist in der Musikgeschichte Japans zu finden. Seit der Landesöffnung Mitte des 19. Jahrhunderts fand in Japan eine langsame „Verwestlichung“ der traditionellen Lebenswelt und der Hörgewohnheiten statt. Frauen und Männer kleideten sich zunehmend westlich, Studenten wurden zur Ausbildung nach Europa oder in die USA geschickt. Statt Kabuki besuchte man nun Ballett- oder Opernaufführungen.
Seit der Öffnung zum Westen hatte Japan vor allem Deutschland mit seinem Justizsystem, der Philosophie, der Medizin und vor allem der Musik als zukünftiges Vorbild gewählt. So komponierte auch ein Deutscher, der Kapellmeister Franz Eckert, die Musik zu Japans Nationalhymne. Doch fast könnte man meinen, Beethovens Neunte Symphonie mit dem Schlusschor aus Schillers Ode „An die Freude“ sei Japans heimliche Hymne. Denn sie wird in keinem Land der Welt öfter aufgeführt als in Japan. Und zum Jahresende sind die Beethoven-Konzerte in allen Städten Japans fast Tradition, ja beinahe etwas Heiliges. Beethovens letzte vollendete Sinfonie, 1824 uraufgeführt und ein Meilenstein der Musikgeschichte, nennt man in Japan auch die zweite Nationalhymne des Landes. „Ode an die Freude“, „Fu-Ro-I-De“ kann fast jeder Japaner singen, zumindest aber aussprechen. Eigentlich weiß keiner, warum ausgerechnet zum Jahreswechsel immer wieder Beethovens Neunte gespielt wird. Doch es gibt eine rührende Legende dazu.
Deutsche Soldaten aus der früheren Kaiser-Kolonie Tsingtau saßen Ende 1918 als Kriegsgefangene in einem japanischen Lager. Der Krieg in Europa war zwar vorüber, sie aber waren noch inhaftiert – und das auch an Weihnachten. Da beschlossen die Gefangenen, unter ihnen ein ehemaliger Musiklehrer, deutsche Weihnachten zu feiern und das unter anderem mit Beethovens Ode „An die Freude“. Die Darbietung vor dem Wachpersonal wurde ein gefeierter Erfolg. Eine Geschichte, wie sie viele Japaner lieben. Natürlich hat sich seitdem viel in der japanischen Musiklandschaft geändert. Musiker komponieren selbstbewusst westliche Musik, haben aber auch ihre japanischen Wurzeln wiederentdeckt. Doch die „starke Liebe zur klassisch-westlichen Musik“, wie es der Stardirigent Mariss Jansons formulierte, ist weiterhin geblieben.
So war es auch am 5. Dezember, als im fast ausverkauften Konzertsaal (1.800 Plätze) des Aichi Arts Centers, dem wichtigsten Veranstaltungsort für darstellende Künste in Nagoya, nach dem vierten Klavierkonzert von Beethoven seine Neunte Symphonie erklang. Kein Geringerer als der Ehrendirigent des 1983 gegründeten Japan Central Symphony Orchestra, Chosei Komatsu, stand am Pult und dirigierte Beethovens in d-moll geschriebenes Opus 125 mit Grandezza, geleitete den über 100 Sängerinnen und Sänger starken, sauber intonierenden Chor zusammen mit dem hervorragend disponierten Orchester sicher und ohne Partitur durch das einzigartige Spätwerk Beethovens. Das durch agilen Charme glänzende Solisten-Quartett mit Elena Fink (Sopran), Ohta Akiko (Mezzosopran), Hironori Jo (Tenor) und Kenji Nose (Bariton) war schließlich das Tüpfelchen auf dem „i“ des mit großem Applaus bedachten Konzertabends. Dabei begeisterte Elena Fink das Publikum vor allem durch ihren strahlenden Sopran.
Im Anschluss an den überaus erfolgreichen Konzertabend ging es dann im Kreise der Solisten, des Dirigenten, der Konzertpianistin und einiger Chormitglieder zur „After-Work-Party“ in ein traditionelles Restaurant downtown Nagoya. Angeregte Gespräche unter den Musikerinnen und Musikern waren ein Leichtes, weil viele sehr gutes Deutsch sprachen. Deutschland als Studienland mit anschließender Anstellung in einem der Sinfonieorchester unseres Landes ist immer noch angestrebtes Ziel vieler japanischer Künstler. Kaum jemand ließ sich die Gelegenheit entgehen, um ein Autogramm oder Selfie von und mit der attraktiven Sopranistin aus Wuppertal zu bekommen.
Langes Feiern war an diesem Abend dennoch kaum möglich, weil am nächsten Morgen die Proben für das erste, am kommenden Freitag stattfindende Kammerkonzert eingeplant waren. Da standen unter anderem Mozart, Schubert, Gounod und Schumann auf dem Programm. Abschließen würde Elena Fink den Kammermusikabend, auf besonderen Wunsch der Gastgeber, mit traditionellen deutschen Weihnachtsliedern. Die ausgezeichnet vorbereitete Pianistin trug zu einer lockeren und amüsanten Probenarbeit bei.
Das Kammerkonzert im Studio Fioirire war als Weihnachtskonzert angekündigt. Es war gewiss etwas Besonderes. Nicht nur, weil es zu einer für Europäer ungewohnten Zeit, um 16.45 Uhr, begann, sondern auch, weil – welch ungewohnter Anblick – alle Konzertbesucher ihre Schuhe vor dem Musiksaal auszogen, um dann mit Schläppchen oder schuhlos einzutreten. Elena Fink, die ihr Programm auf Englisch moderierte und von ihrem Manager übersetzt wurde, bedachten die Gäste immer wieder mit lang anhaltendem, herzlichem Applaus. Zwei Zugaben, zahlreiche Autogramme und der Verkauf fast aller mitgebrachten CDs sprachen da für sich. Eine sehr zufriedene Sopranistin verließ schließlich, nach vielen Gesprächen mit den interessierten Konzertbesuchern, das Haus, um die verdiente Ruhe im Hotel zu genießen und endlich das Geburtstagstelefonat mit ihrer Tochter zu führen.
Die Proben für die Kammerkonzerte fanden in der Nähe zum Hauptbahnhof, im Bürohaus der Daido Company, einem Hersteller von Industrierobotern, statt. Den kleinen, holzgetäfelten Kammermusiksaal der Daido Company stellte ihr Präsident, Sadao Yamada, Elena Fink und ihrer japanischen Pianistin Mayuko Honda für die Probenarbeit wohlwollend zur Verfügung. Eine großzügige Geste, für die sich die Künstlerinnen bei seinem kurzen Besuch herzlich bedankten. Dessen ungeachtet sprach Sadao Yamada obendrein eine Einladung zu einem exklusiven Abendessen im kleinen Kreis aus.
Es sollte am Samstag, im Anschluss an das letzte, nicht öffentliche Kammerkonzert im selben Saal stattfinden. Gäste waren 30 von Direktor Yamada geladenen Konzertbesucher und die beiden Künstlerinnen. Den unterhaltsamen Abend – das Übersetzen übernahm Elena Finks Konzertagent, Yoshiya Ishihara – krönte ein ästhetisch zubereitetes, vom Eigengeschmack der Produkte geprägtes, exklusives Sieben-Gänge-Menü.
Ein Treffen mit den Soroptimisten von Nagoya hatte Elena Fink, Mitglied der Wuppertaler Sektion, bei den Vorbereitungen ihrer Reise eingeplant. So war es möglich, dass sie sich zu einem Mittagessen im noblen Nagoya Kanko Hotel mit drei Damen des Serviceclubs von Nagoya, unter anderem der Präsidentin Mikiko Suzuki, verabreden konnte. Der freundliche Empfang und das herzliche Zusammensein wird der Wuppertalerin lange in Erinnerung bleiben. Eine spannende Woche, angefüllt mit zahlreichen Erlebnissen, persönlichen Begegnungen und vor allem perfekt geplanten und erfolgreichen Konzerten, ging im Fluge vorbei. Dass es für Elena Fink nicht das letzte Mal in Nagoya sein würde, teilte ihr Agent Ishihara schon im Anschluss an den Beethoven-Abend im Aichi Arts Center freudestrahlend mit. Für die Spielzeit 2019/20 ist ein weiteres Engagement fest eingeplant. Ein Traum wäre, wenn die Einladung zur Kirschblütenzeit ausgesprochen würde. Elena Fink lässt sich gerne überraschen.
Und wer nicht selbst Japan auf dem Reiseplan hat, der kann Elena Fink bereits in diesem Sommer, am 23. Juni 2019 um 18 Uhr, in der Gemarker Kirche mit einem Benefizkonzert des Soroptimist Clubs Wuppertal zugunsten des Sternpunkts Wuppertal hören. Begleitet wird sie von Mitgliedern des Sinfonieorchesters Wuppertal.