Top Wuppertal "Wer bezahlte, wurde bedient"
Wuppertal · Der Wuppertaler Hanno Krüsken berichtet aus dem Alltag eines Sensationsfotografen.
Es fing so harmlos an. Beim "Würmtalboten", einer Münchener Stadtteilzeitung. Dort legte Hanno Krüsken (57) zum ersten Mal seine Kamera auf den Tisch. Er wolle irgendwas mit Journalismus machen, am liebsten Pressefotografie. Die Idee hatte er aus Indien mitgebracht, davor hatte er drei Jahre in Dänemark in einer Hippiekommune gelebt.
Heute hier und morgen dort, das sei sein Ding gewesen. Als Fotoreporter sei man ständig unterwegs, das habe damals gut gepasst. "Und dann stand ich da vor dem verkohlten Arm eines Lkw-Fahrers. Er war in seiner Kabine verbrannt", erinnert sich Hanno Krüsken an seine ersten Bilder. So hatte er sich das alles nicht vorgestellt und zum Glück wurde es auch bald anders.
Er heuerte bei einem Fotodesigner an und machte Symbolbilder für eine Agentur. Dann traf er Nina Hagen auf einer Promi-Party. In der ersten Reihe knipsten sich die Fotografen die Finger wund. "Ich kannte die Choreografie ihrer Auftritte und habe auf diese eine Pose gewartet", spricht der Wuppertaler über den Moment, als er auf den Auslöser drückte. Gespreizte Beine von Nina Hagen? Hatte damals keiner der Kollegen — die Abendzeitung setzte Krüskens Foto auf die Titelseite.
Irgendwann danach sollte er zur Einführung der Gesundheitspässe für Prostituierte irgendwas mit Brüsten machen. Er fuhr zum "Leierkasten", dem bekanntesten einschlägigen Etablissement in der Stadt. Dort hielt er den Damen die Dokumente vor die Spitzen-BHs und drückte auf den Auslöser. "Ich warf der Agentur den Film in den Kasten und war weg", so Hanno Krüsken. Das war vor 30 Jahren, es war sein letzter Auftrag in München. Er hatte längst genug von der Metropole und wollte zurück in seine alte Heimat Wuppertal.
Als irgendwann im Radio der Absturz einer Cessna bei Mülheim gemeldet wurde, schnappte sich der Fotograf seine Kamera und fuhr hin. Die Fotos waren die Eintrittskarte bei der Düsseldorfer Außenredaktion der "Quick". Dort ging‘s mit einer Kasper-Hauser-Story weiter. In der Redaktion war man auf die wenigen Zeilen gestoßen, die in der lokalen Presse über den kleinen Horst und die Hündin Asta zu lesen waren. Der Dreijährige war im Schlafanzug auf die Straße gekrabbelt und wurde so beim Jugendamt ein Fall für die Akten, weil sich die Eltern offenbar nicht gekümmert und stattdessen die Fürsorge ihrem Hund überlassen hatten.
Krüskens Auftrag: die Eltern zu einer Exklusivstory zu überreden und Fotos zu machen. "Ich habe 400 Mark auf den Tisch gelegt und noch 200 mehr angeboten, wenn sie gleich mitkommen." Die Eltern des Jungen seien damals in einem Ausnahmezustand gewesen. Verzweifelt, betrunken und der Vater immer wieder aufbrausend und von ohnmächtiger Wut getrieben.
Krüsken nahm den Mann und die Frau mit nach Schöller, wo seine Eltern einen Gasthof mit Fremdenzimmern betrieben. "Wir mussten sie beruhigen. Das ging nur mit Bier und Armdrücken", erinnert er sich. Als sich kurz darauf bei der Klatschpresse herumgesprochen hatte, dass die Eltern in einem Hotel untergekommen seien, wurden alle Pensionen im Umkreis von nach einer Story hechelnden Journalisten abgeklappert.
Das wiederum war für die "Quick" der Moment, um Hanno Krüsken in einer Nacht-und-Nebel-Aktion gemeinsam mit den Eltern des kleinen Horst und der Hündin Asta zu einer vermeintlichen Urlaubsreise nach Frankreich zu schicken. Im Kofferraum des zuvor gemieteten Daimlers: palettenweise Dosenbier und eine Flasche Schnaps. Und Schlaftabletten für den Hund, damit Asta nicht ins Auto kotzt. Auf dem Weg über Paris in Marseille angekommen, flog man gleich schon aus dem Hotel. Der Hund hatte die Türe angenagt, und die Eltern beim Sex die Dusche demoliert.
Dass sich Alain Delon und Brigitte Bardot angeblich um Hündin Asta kümmern wollten, erwies sich später als Finte. Längst waren auch internationale Medien wie die "Paris Match" in die Story eingestiegen. Hanno Krüsken hatte die Geschichte zu seinem ersten Titelbild bei der "Quick" verholfen. Es sollten weitere folgen und über Jahre hinweg stand die gepackte Tasche mit Kameras und Filmen im Auto, weil er auch schon mal nachts mittels Europieper aus dem Bett geholt wurde. Arbeitsauftrag: "Wer beizeiten kommt, kriegte die besten Bilder."
Auch der Einsatz beim Gladbecker Geiseldrama lief auf diese Weise. Krüsken raste zum Flughafen, stieg in den Hubschrauber und hatte nur Minuten später exklusive Luftaufnahmen im Kasten. In Rumänien schaffte er es nicht mehr frühzeitig genug, seine Fotos abzuliefern. Bei der "Quick" war längst Redaktionsschluss, als deren Fotograf noch irgendwie versuchte, aus dem von der Revolution gebeutelten Land zu kommen.
"Journalisten wurden dort vor unseren Augen beschossen", erinnert sich Hanno Krüsken an den gefährlichsten Einsatz als Fotoreporter im Schatten des Ceaucescu-Regimes. Zwischenzeitlich hatte ihn die "Quick" sogar beim Auswärtigen Amt als vermisst gemeldet.
Er selbst hatte dann bald genug von einem Job des Pressefotografen, der dabei war, sich zu wandeln. Die Zeiten, in denen Redaktionen noch Geld in die Hand nahmen, um ihre Mitarbeiter mit Reportagen zu beauftragen, sei Anfang der 1990er Jahre vorbei gewesen. An den Auftrag im Münchener "Leierkasten" habe er später noch oft denken müssen: "Der Job eines Pressefotografen war dem einer Prostituierten sehr ähnlich. Jeder, der kam und bezahlte, wurde bedient."