Interview mit Prof. Astrid Messerschmidt über #metwo "Wuppertal hat eine 300-jährige Migrations-Geschichte"

Wuppertal · Unter dem Hashtag #metwo erzählen Menschen mit Migrationshintergrund auf Twitter, wie sie in ihrem Alltag Rassismus erleben. Ein Thema, dass nicht zuletzt durch die Begleiterscheinungen beim Rücktritt von Fußball-Nationalspieler Mesut Özil weiter befeuert wurde.

Prof. Astrid Messerschmidt.

Foto: BUW

Kann #metwo etwas ändern? Und warum werden Menschen in unserer Gesellschaft nach wie vor ausgegrenzt? Rundschau-Volontärin Hannah Florian hat nachgefragt, und zwar bei Astrid Messerschmidt, Expertin im Bereich Diskriminierung und Diversität an der Bergischen Uni.

Rundschau: Frau Messerschmidt, kurz und knapp, was ist Rassismus?

Messerschmidt: Rassismus ist eine Denkweise, die aus dem Kontext des Kolonialismus kommt. Sie ist verbunden mit der Erfindung von Menschenrassen und der damit einhergehenden Abwertung von nichteuropäischen Anderen. Dieses Denkmuster hat Nachwirkungen bis heute.

Rundschau: Wie wird Rassismus in Deutschland verstanden und bewertet?

Messerschmidt: In Deutschland wird Rassismus schnell verknüpft mit Nationalsozialismus. Aber die Nazis haben Rassismus nicht erfunden, sondern bereits vorgefunden. Gerade hierzulande wirkt Rassismus wie ein Schreckenswort. Erfahrungsberichte werden reflexartig abgewehrt, nach dem Motto: 'Das gibt es hier nicht‘. Die Özil-Debatte zeigt: Es wird nicht unterschieden zwischen dem Staatsrassismus im Nationalsozialismus und dem Alltags-Rassismus heute. Deshalb ist die Diskussion emotional auch sehr aufgeladen.

Rundschau: Was versteckt sich hinter dem Wort Alltags-Rassismus?

Messerschmidt: Das, was Özil und viele andere Menschen mit Migrationshintergrund erleben. Und zwar, dass mit Äußerungen ihre Zugehörigkeit zu Deutschland in Frage gestellt wird. Sie bekommen das Gefühl, nicht dazu zu gehören.

Rundschau: Ist es denn rassistisch zu fragen, wo jemand herkommt?

Messerschmidt: Natürlich ist das nicht rassistisch, aber es kann ausgrenzend wirken.

Rundschau: Wie kann ich die Frage nach der Herkunft stellen, ohne auszugrenzen?

Messerschmidt: Die Frage muss per se nicht ausgrenzend sein. Es kommt immer auf den Kontext an. Die Frage sollte zum Beispiel nicht direkt zu Beginn eines Gesprächs gestellt werden, wenn es in dem Gespräch gar nicht um die Herkunft geht. Bereits gemachte Diskriminierungserfahrungen der Befragten bewirken, dass die Frage anders ankommt, als sie eigentlich gemeint ist.

Rundschau: Welche Erfahrungen meinen Sie?

Messerschmidt: Wenn ein Schüler nur wegen seines Namens auf die Hauptschule geschickt wird oder wenn jemand wegen seiner dunklen Hautfarbe regelmäßig in der Bahn auf seine Fahrkarte kontrolliert wird. Das ist zwar nicht gewalttätig, aber es verletzt.

Rundschau: Ist der #metwo, unter dem Deutsche mit Migrationshintergrund ihre Erfahrungen schildern, ein erster Schritt, um zu sensibilisieren?

Messerschmidt: Ich hoffe nicht, dass er als erster Schritt gesehen wird, aber es ist ein guter Schritt. Ich komme aus dem Bildungsbereich und sehe zum Beispiel bei vielen jungen Lehrern, dass sich da etwas bewegt und dass sie global denken, anstatt kleinkariert.

Rundschau: Wie kann über die Erfahrungen unter dem Hashtag #metwo hinaus für das Thema sensibilisiert werden?

Messerschmidt: Zuerst einmal geht das nur, wenn das Gegenüber dazu bereit ist. Wenn ein nationalistisches Weltbild bereits verfestigt ist, kann man wenig bewegen. Das ist in Deutschland aber zum Glück nicht bei der Mehrheit der Fall. Wichtiger ist es, Leute zu erreichen, die unsicher sind und Fragen haben, wann Rassismus beginnt und wann Aussagen ausgrenzend und abwertend ankommen. Generell geht es darum zu fragen 'Wie wirkt Rassismus?‘ und nicht 'Was ist Rassismus?‘

Rundschau: Das ist ja auch genau das, was die #metwo-Bewegung aussagt.

Messerschmidt: Richtig, und das ist für uns auch eigentlich nicht neu.
Warum braucht es dann so lange, um darauf aufmerksam zu machen?
Weil wir eine verspätete Migrationsgesellschaft sind. Die Tatsache der Einwanderung wurde jahrzehntelang verleugnet. Es hat fast drei Generationen gedauert, um anzuerkennen, dass Migration zur Geschichte unserer Städte gehört. In Wuppertal sprechen wir von einer dreihundertjährigen Migrationsgeschichte. Das gehört doch längst zum Selbstbild dieser Stadt.