Schatten der Vergangenheit
Vor fünf Monaten durfte Mutter Atifa mit ihren schwer kranken Kindern von Syrien noch Wuppertal ausreisen. Auch wenn sich ihr Leben zwischenzeitlich normalisiert hat — manche Sorgen bleiben.
Auf den ersten Blick deutet nichts mehr darauf hin, welches Schicksal sie hinter sich gelassen haben. Mutter Atifa (45), die bis auf Cenab (14) an der Blutkrankheit Thalassämie leidenden Kinder Dalil (27), Armina (21) und Sedra (9) sitzen in ihrer spärlich eingerichteten Wohnung, lächeln schüchtern Onkel und Schwager Abduselam Ay und seine Ehefrau Sylvia an, denen es Ende 2014 mit Hilfe engagierter Unterstützer gelungen ist, die Familie aus dem Krisengebiet Syrien nach Wuppertal zu holen (die Rundschau berichtete), so dass sie jetzt endich ohne die gefährliche Begleitmusik des Krieges leben können.
"Es hat etwas gedauert, bis alle realisiert haben, dass sie jetzt in Sicherheit sind", berichtet Sylvia Ay. Kurz nach ihrer Ankunft im Dezember zeigte sich für Dalil, dass ihm in Syrien nicht mehr viel Zeit geblieben wäre: Die dortige medizinische Unterversorgung, an der bereits die älteste Schwester Frida gestorben war, hatte eine lebensbedrohliche organische Veränderung ausgelöst, die gerade noch gestoppt werden konnte. Jetzt ist sein Zustand so stabil, dass er demnächst einen Deutschkurs besuchen kann.
Cenab und Sedra gehen bereits zur Schule, erzählen von neuen Freunden, die sie bereits gefunden haben. Davon, dass sie sich in Wuppertal wohl fühlen, dass ihnen allen das Leben von Tag zu Tag besser gefällt. "In den vergangenen fünf Monaten haben viele geholfen, der Familie den Weg in ein ansatzweise normales Dasein zu ebnen", sagt Abduselam Ay.
Er lobt vor allem Helge Lindh, den Vorsitzenden des Wuppertaler Integrationsrates: Der habe sich unermüdlich eingesetzt, Kontakte zu Fachärzten aufgebaut und erfolgreiche Gespräche mit der Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) geführt, die umgehend adäquaten Wohnraum in der Nähe zur Verfügung gestellt habe.
Dass die schwerbehinderte Armina demnächst im Troxler-Haus aufgenommen wird, auch das ist ein weiterer Lichtblick, der vor allem die Mutter entlastet, die fast rund um die Uhr für sie da sein muss. "Ich bin vor allem froh, dass Dalil und Sedra jetzt täglich ihre Medizin bekommen. Früher hab' ich oft geweint aus Angst, dass sie bald sterben werden", sagt Cenab — und Atifa ergänzt: "Freiheit ist das größte Geschenk." Worte, die ansatzweise verstehen lassen, welche psychische Belastung hinter der Familie liegt.
Allerdings — so angenehm das Leben jetzt im Gegensatz zu früher verläuft, Sorgen bleiben: Wie sich der Zustand von Dalil entwickeln wird, ist aus medizinischer Sicht fraglich. Und ob der aufgeweckten, lebenslustigen und fröhlichen Sedra, deren Wachstum wie bei Dalil durch die Thalassämie gehemmt ist, demnächst eine Knochenmarktspende die Tür zu einer gesunden Zukunft öffnet — noch ist das ungewiss.
Die Schatten der Vergangenheit werden wohl noch lange bleiben ...