Bergische Uni Integrierter Elektroantrieb geht in die Industrialisierung
Wuppertal · Ein neues, integriertes Antriebssystem für Elektro- und Hybridfahrzeuge schafft aussichtsreiche Perspektiven für die Elektromobilität. Wissenschaftler am Lehrstuhl für Sensorik und messtechnische Systeme der Bergischen Universität Wuppertal haben unter Leitung von Prof. Dr.-Ing. Stefan Butzmann die klassische Bauweise von elektrischen Antriebssystemen neu gedacht und erstmals ein System entwickelt, das alle drei Hauptkomponenten – Batterie, Elektronik und Motor – in eine Komponente integriert. In einer Ausgründung wird das vollelektrische Antriebssystem jetzt für die Markteinführung weiterentwickelt.
Elektroantriebe bestehen aus einem Energiespeicher (meist einer Hochvolt-Batterie), einem Pulswechselrichter nebst Steuerung und einem Motor, der als 3-phasige Synchron- oder Asynchronmaschine ausgelegt ist. Üblicherweise werden diese Komponenten räumlich getrennt im Fahrzeug verbaut und durch Kabel miteinander verbunden. Hinzu kommt in vielen Fällen ein DC/DC-Wandler, der das Hochvolt-Bordnetz mit dem 12V-Bordnetz des Fahrzeugs verbindet. „Die hohen Spannungen im Antriebsstrang sind gleichermaßen Segen und Fluch“, erläutert Prof. Butzmann. Einerseits seien sie notwendig, um bei einer bestimmten Leistung die Ströme und damit Kabelquerschnitte, Gewicht und Kosten klein zu halten, andererseits erfordern sie aufwendige Isolations- und Sicherheitsmaßnahmen. Darüber hinaus muss im Falle eines Brandes vor den Löscharbeiten zunächst das Hochvoltsystem stillgelegt werden, d.h. die Batterie vom Bordnetz des Fahrzeugs getrennt werden. Bei PKWs bspw. geschieht dies im Falle eines Unfalls inzwischen fast durchgehend automatisch, dennoch sind all diese Maßnahmen, wie z.B. Trenn-Relais, mit erheblichen Kosten verbunden.
Ziel der Arbeiten am Lehrstuhl für Sensorik und messtechnische Systeme der Bergischen Universität Wuppertal war es daher, ein Niedervolt-Antriebssystem zu entwickeln, welches auch höhere Leistungen darstellen kann und dennoch die oben beschriebenen zusätzlichen Schutzmaßnahmen nicht benötigt. Erreicht wird dieses Ziel durch Verwendung eines Multiphasen-Motors, bei dem jede einzelne Phase mit einer berührsicheren Spannung von weniger als 60V betrieben wird. Die Skalierung der Leistung erfolgt hier nicht über die Spannung, sondern über die Anzahl der verwendeten Phasen. Solche Motoren sind seit längerem aus der Literatur bekannt, finden jedoch bisher wegen des hohen Verkabelungsaufwands zu den einzelnen Phasen nur wenig Verwendung.
Die Idee der Wuppertaler Wissenschaftler war es nun, die Elektronik, die Batterie und den Motor räumlich zusammenzuführen, um exakt diese Verkabelung zu vermeiden. Dafür werden die Batteriezellen um den Motor herum angeordnet und die Leistungselektronik stirnseitig an dem Antrieb so befestigt, dass sie sowohl mit den Batteriezellen als auch mit den Motoranschlüssen direkt verbunden ist. Auf Kabelverbindungen zwischen Batterie, Wechselrichter und Motor kann somit komplett verzichtet werden. Die hierfür notwendigen Hochstromleiterplatten wurden in einer eigens entwickelten Technologie am Lehrstuhl selbst gefertigt.
Aufgrund der gestiegenen Zahl der Motorphasen hat sich zwar auch die Anzahl der benötigten elektronischen Komponenten erhöht, insbesondere die jetzt verwendeten Leistungsbauelemente (MOSFETs) sind allerdings erheblich günstiger als die in Hochvolt(HV)-Systemen üblicherweise genutzten IGBTs (Bipolartransistor mit isolierter Gate-Elektrode, kurz: IGBT), so dass die Kosten für die Leistungselektronik weitestgehend gleichgeblieben sind. Erhebliche Kosteneinsparungen lassen sich dagegen durch den Wegfall der bisher notwendigen HV-Schutzmaßnahmen sowie durch den Wegfall der Verkabelung erreichen.
In dem System kann zudem bei Defekt einer Komponente aufgrund der systemimmanenten Modularität und Redundanz ein Gesamtsystemausfall vermieden werden. Fällt eine Funktionseinheit aus, werden die verbleibenden Einheiten weiter betrieben und es kommt lediglich zu Leistungseinbußen. Wegen der kompakten Bauweise und der Verwendung des Chassis-Potenzials als Referenz-Masse für den Antriebsstrang ergeben sich darüber hinaus erhebliche Vorteile bzgl. elektromagnetischer Verträglichkeit.
Ein Demonstrator des elektrischen Antriebs mit einer 8kWh-Batterie wurde an der Bergischen Universität Wuppertal aufgebaut und liefert eine Leistung von 60kW. Der komplette Antrieb hat einen Durchmesser und eine Länge von jeweils ca. 40cm. Eingesetzt werden könnte ein solches System in unterschiedlichsten Applikationen wie z.B. in Hybrid- oder Plug-In-Hybrid-Fahrzeugen.
Auch der Einsatz in vollelektrischen PKWs ist mit einer Erweiterungs-Batterie grundsätzlich denkbar. Hier muss allerdings zunächst noch das Problem der Ladeschnittstelle gelöst werden, bei der ohne hohe Spannungen ein schnelles Laden nicht möglich ist. „Wir verfolgen hier im Rahmen einer Promotion verschiedene, vielversprechende Ansätze, unser System, welches eigentlich für niedrige Spannungen ausgelegt ist, auch mit hohen Spannungen laden zu können und dabei dennoch die Kostenvorteile zu erhalten“, so Prof. Butzmann. Die naheliegende Lösung, hierfür einen DC/DC-Wandler zu verwenden, scheide jedoch aus Kostengründen aus.
Um sich die Rechte an den beiden Erfindungen, die dem vollelektrischen Antrieb zu Grunde liegen, umfassend zu sichern, hat die Bergische Universität Wuppertal mit Unterstützung von PROvendis – einer Patentvermarktungsgesellschaft für Hochschulen und weitere Forschungseinrichtungen in Nordrhein-Westfalen – international Patente angemeldet, die inzwischen kurz vor der Erteilung stehen.
Um die Weiterentwicklung und Vermarktung des Antriebssystems voranzutreiben, wurden schnell Investoren gefunden, die einen mittleren, achtstelligen Betrag in den Aufbau einer Firma für die Weiterentwicklung, Produktion und Vermarktung des neuen Antriebssystems bereitgestellt haben. Auch hier hat bei der Vertragsgestaltung die PROvendis tatkräftig unterstützt.
„Wir entwickeln State-of-the-Art Systemlösungen, die die Art unserer Fortbewegung verändern“, sagt Achim Fedyna, ehemals Vice President Technologie bei Bosch Mahle Turbosystems und jetzt Geschäftsführer bei der neu gegründeten stoba e-Systems. Die Ambitionen des Start-ups sind groß. Mittlerweile treibt ein inzwischen 50-köpfiges, hochmotiviertes Team die Entwicklung des Antriebssystems und des Unternehmens intensiv voran. Zusätzlicher Schub entsteht durch das positive Feedback aus zahlreichen Präsentations- und Gesprächsrunden bei potentiellen Kunden. So konnte bereits – parallel zur eigentlichen Systementwicklung – ein interessantes Vorstudienprojekt bei einem großen OEM der Automobilindustrie gewonnen werden.
Darüber hinaus reichen die Interessenten von Kommunalfahrzeug-Herstellern, Herstellern von All Terrain Vehicles, Baumaschinen- und Flurförderfahrzeugen bis hin zu Classic-/Oldtimer-Fahrzeugen, bei denen der Verbrennungsmotor durch einen Elektroantrieb ersetzt werden soll.
Hierzu konnte die stoba e-Systems bereits auf der „Retro Classics, Messe für Fahrkultur“ im Frühjahr dieses Jahres eine Konzeptstudie mit einer vollelektrifizierten Mercedes Pagode – ein sportlich-eleganter Fahrzeugklassiker aus dem Jahr 1963 – vorstellen. Das Fahrzeug ist mit dem neuen elektrischen Antriebssystem fahrbereit und trifft bei Herstellern von Elektromobilitäts- und Industrielösungen aus dem In- und Ausland auf großes Interesse. Aktuell wird die nächste Antriebsgeneration bei der stoba e-Systems entwickelt. Gleichzeitig findet bereits der Aufbau der Prüfstände und die Produktionsplanung statt.
Um eine noch höhere Entwicklungsgeschwindigkeit zu gewinnen, wurde zusätzlich zum Standort in Weinstadt ein weiteres Entwicklungsbüro in Wuppertal eröffnet. „Die Konstellation ist ideal. Die Studenten erlernen durch die Mitarbeit am Lehrstuhl die notwendigen Fähigkeiten, mit denen sie sich dann direkt in einem hochprofessionellen Forschungs- und Entwicklungsumfeld vollwertig einbringen und bewähren können“, so Professor Butzmann. Auf diesem Wege konnten in den letzten zwei Monaten bereits zwei Mitarbeiter in das neue Unternehmen vermittelt werden, die nun dazu beitragen, das integrierte elektrische Antriebssystem auch wirklich auf die Straße zu bringen.