Interview mit Andreas Bialas zum NRW-Untersuchungsausschuss zur Kölner Silvesternacht "Immer den tatsächlichen Saukopp benennen"
Wuppertal / Köln · Es ist ruhig(er) geworden um die Kölner Silvesternacht. Dazu besteht allerdings kein Grund. Andreas Bialas, Wuppertaler Landtagsabgeordneter und früherer Polizeibeamter, sitzt für die SPD im Untersuchungsausschuss des NRW-Parlamentes, der dazu beitragen soll, die Vorfälle aufzuklären.
Rundschau-Redakteur Stefan Seitz sprach mit Andreas Bialas.
Rundschau: Ihr Fazit bis jetzt?
Bialas: Wir haben bisher 100 Zeugen gehört. Jetzt ist quasi Halbzeit. Bisher sichtbar: Es gab bei jeder beteiligten Behörde, Land, Bund, Stadt Köln, einen Haufen interner Fehler, gerade bei Einsatztaktik, Planungs- und Führungsgrundsätzen und in der Kommunikation. Hinzu kam ein katastrophales Zusammenspiel der Beteiligten. Was in Köln ablief, macht mich fassungslos.
Rundschau: Zum Beispiel?
Bialas: Obwohl die Hohenzollernbrücke schon letztes Jahr ein Hotspot war und jetzt etwa 70 Ordnungskräfte der Stadt Köln für sie zuständig waren, zusätzlich auch Landes- und Bundespolizei sie im Aufgabenbereich hatten, war keiner auf der Brücke selbst, um zu schauen, was dort los war. Da wird man irre, wenn man das hinterher sieht. Auch wird immer klarer, dass ein Einsatz viel früher hätte starten müssen. Bereits ab 17 Uhr gab es Böllerbeschuss auf Gebäude, den Bahnhof, den Dom. Ab 19 Uhr zeigen Videoaufnahmen bereits größere Menschenmengen, die sich gegenseitig mit Böllern beschießen. Schuldbewusstsein gibt es bisher übrigens kaum. Im Ausschuss hieß es: "Das sind halt Kölner Verhältnisse, das ist eben hier so."
Rundschau: Wie ging es weiter?
Bialas: Der Mob tobte schon sehr früh. Es wurde aber schlicht nicht gehandelt, nicht einmal sauber aufgeklärt. Vorhandene Verstärkung wurde nicht angefordert. Erst ab 22.45 Uhr waren größere Polizeikontingente vor Ort, etwa fünf Stunden später. Bis dahin hatte sich die Lage stetig und drastisch verschlechtert. Dann erst wurden Maßnahmen ergriffen, auch die Räumung des Bahnhofvorplatzes. Möglicher- und tragischerweise hat das durch eine Verengung der Räume die Übergriffe begünstigt. Das wird mit Hilfe eines Gutachters aufgearbeitet.
Rundschau: Diese vielen Übergriffe interessieren die Menschen weit mehr als die Polizeitaktik ...
Bialas: Richtig. Daher gilt: Die Einsatzkräfte haben Fehler gemacht. Aber es gab Täter, die sich zuallererst verantworten müssen. Das darf man nie außer Acht lassen. Man muss immer den tatsächlichen Saukopp benennen. Hier waren die Täter Flüchtlinge und Asylbewerber aus Nordafrika. Aber sexuelle Gewalt ist nun einmal nicht ihr Markenzeichen und natürlich nicht auf sie beschränkbar. Man darf das nicht mit der übergroßen Mehrheit von Flüchtlingen vermengen, die mit solchen Taten nichts, aber auch gar nichts zu tun haben. Sexuelle Gewalt ist keine ethnische Sache, sondern passiert ständig, in Familien, auf der Kirmes, im Karneval, auf Schützenfesten, im Beruf.
Rundschau: Der Gesetzgeber hat sehr schnell auf Köln reagiert, unter dem Motto "Nein heißt Nein" neue Rahmenbedingungen geschaffen.
Bialas: Endlich haben wir einen Perspektivwechsel im Strafrecht. "Nein" ist eben nicht der Auftakt einer Romanze. Es kann einer Frau auch nicht zugemutet werden, bei solchen Gruppendelikten hinterher exakt nachweisen zu müssen, wer genau was gemacht hat. Bisher musste das Opfer jedem Einzeltäter seinen jeweiligen Beitrag nachweisen, nun ist die ganze Gruppe strafbar.
Rundschau: Welche Lehren müssen noch gezogen werden?
Bialas: Was noch fehlt, ist eine Anerkennung der Fehler, ein schonungsloser Blick der Behörden und eine Übernahme von Verantwortung. Keiner kann heute verkünden, er habe keine Fehler gemacht und sei nicht bereit, daraus zu lernen. Alle haben sie den Einsatz voll vor die Wand gesetzt. Dass viele Polizeikräfte in der Nacht noch etliches versucht haben, konnte nicht mehr dazu führen, der Lage Herr zu werden. Man lief quasi nur noch hinterher. Trotzdem: Eine zweite derartige Silvesternacht wird es nicht geben.
Rundschau: Und gesellschaftlich beziehungsweise politisch?
Bialas: Gerade in NRW hat es keinen Personalabbau bei der Polizei gegeben. Trotzdem ist das passiert. Wir müssen uns sehr intensiv fragen: Woher kommt sexuelle Gewalt und wie begegnen wir ihr? Köln hat ein Problem ans Licht gebracht, dessen Dunkelziffer bei etwa 80 Prozent liegt. Das Land NRW sollte daher jetzt die Initiative ergreifen, um politisch, polizeilich und zivilgesellschaftlich das Thema sexuelle Gewalt offen und schwerpunktmäßig anzugehen. Inklusive umfassender wissenschaftlicher Begleitung. Köln ist hier bei uns in NRW passiert. Deswegen sollten wir beweisen: Wir haben daraus gelernt und gehen das jetzt an.