Rundschau-Interview zur Landtagswahl SPD: „Kita-Besuch muss kostenlos sein“
Wuppertal · Am 15. Mai 2022 wird der neue NRW-Landtag gewählt. Das Wuppertaler Stadtgebiet ist in drei unterschiedliche Wahlkreise aufgeteilt. Die Reihe der politischen Interviews mit Kandidatinnen und Kandidaten eröffnet die SPD. Die Rundschau-Redakteure Roderich Trapp und Stefan Seitz sprachen mit Dilek Engin, Andreas Bialas und Josef Neumann. Die 1981 geborene Dilek Engin tritt jetzt erstmals an, Andreas Bialas und Josef Neumann sitzen bereits seit 2010 im Düsseldorfer Landtag. Sie haben ihre Wahlkreise immer direkt gewonnen.
Rundschau: Ein heißes Eisen, vor allem während der harten Corona-Phase, war die Bildungspolitik. Frau Engin, Sie sind Lehrerin an der Else-Lasker-Schüler-Gesamtschule. Welche Note geben Sie NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer von der FDP?
Dilek Engin: „Eine glatte 6. Und die Eltern der Ministerin würde ich auch zum Gespräch einladen. Die Respektlosigkeit der Corona-Informationspolitik des Schulministeriums war und ist unbegreiflich. Wegen extrem kurzfristiger Info-Mails mussten die Schulen alles selbst recherchieren: Maske ja, Maske nein, Schulen auf gar keinen Fall schließen, dann aber doch ... Bei klarerem Vorgehen hätte meiner Meinung nach sogar ein Lockdown verhindert werden können. Beim von der SPD vorgeschlagenen ,Solinger Modell‘, das große Flexibilität für Präsenz- und Distanz-Unterricht ermöglicht, hat die Ministerin gebockt wie ein kleines Kind. Schüler und Lehrer haben sich veräppelt gefühlt. Wir können diese Frau nicht mehr ernst nehmen.“
Josef Neumann: „Skandalös ist auch, dass das Thema Inklusion aus den Gymnasien herausgehalten wird. Ein schwerer Schlag gegen die soziale Gerechtigkeit.“
Dilek Engin: „Völlig unverständlich finde ich die geplante Abschaffung des Faches Sozialwissenschaften, das eine große gesellschaftspolitische Bedeutung hat. Wenn es tatsächlich so sein sollte, dass der Bereich Wirtschaft im Sozialwissenschaftsunterricht zu kurz kommt, kann man den Lehrplan ändern, und muss nicht gleich das ganze Fach beerdigen. Man muss sich schon fragen, wann Ministerin Gebauer zuletzt in einer Schule gewesen ist.“
Andreas Bialas: „Zwei Facetten sind für erfolgreiche Bildungspolitik unverzichtbar: Gute Unterrichtsräume und gutes Personal. Es nützt wenig, soundsoviel tausend neue Lehrerstellen anzukündigen. Eine Stelle gibt keinen Unterricht. Man muss die Menschen dafür auch finden und sie angemessen bezahlen. Das gilt vor allem für das pädagogisch stark geforderte Lehrpersonal an Grund-, Berufs- und Förderschulen.“
Josef Neumann: „Ich finde außerdem wichtig, dass das deutsche Modell der Dualen Ausbildung gestärkt wird. Dafür muss man die Berufsschulen räumlich und personell besser ausstatten, die waren zusammen mit den Förderschulen die größten Verlierer bei der Pandemie. Um alles zu realisieren, was für Strategien gegen den Klimawandel nötig ist, brauchen wir eine sehr große Zahl fachkundiger Handwerker. Und die gibt es zurzeit nicht. Da muss bei der Ausbildung auch mehr Flexibilität anstatt starrem Denken her.“
Rundschau: Wenn‘s ums Geld geht, kommt das Thema des Altschuldenfonds zur Entlastung finanzschwacher Kommunen auf den Tisch. Die schwarz-gelbe NRW-Landesregierung gehört nicht zu den Befürwortern dieses Fonds ...
Josef Neumann: „Bundeskanzler Scholz will den Fonds, wenn die Länder mitgehen. NRW aber stellt sich quer. Die Menschen jedoch erleben die Funktionsfähigkeit von Demokratie in der Stadt, in der sie leben. Wenn dort wegen Geldmangel die alltägliche Infrastruktur immer mehr verkümmert, beispielsweise in den Sektoren Gesundheit und Krankenhausversorgung, entstehen große Probleme in Sachen Gerechtigkeit und sozialer Frieden. Der Altschuldenfonds ist unverzichtbar, weil er die Lebensfähigkeit einer Stadt wie Wuppertal sicherstellt.“
Andreas Bialas: „Durch die aktuelle Landespolitik werden arme Städte klar benachteiligt. Die NRW-Corona-Hilfen etwa gab es nur als Kredite, Wuppertal muss dieses Geld zurückzahlen. Wir werden diese Rückzahlungspflicht abschaffen. Beim Altschuldenfonds streckt Berlin die Hand aus, Düsseldorf aber nimmt sie nicht. Die SPD steht für einen neuen Stärkungspakt der Kommunalfinanzen. Der war ohnehin eine Idee der SPD und hat Wuppertal in den vergangenen Jahren ja schon 500 Millionen Euro gebracht. Von der CDU muss man sich als arme Stadt nichts erwarten. Dabei weiß jeder: Wer kein Geld hat, kann weder Gegenwart noch Zukunft gut gestalten. Alles, was eine moderne Stadt ausmacht, bleibt dann auf der Strecke. Sehr entscheidend ist da übrigens auch die gerechte Verteilung der Einnahmen, die Bund, Länder und Kommunen durch Steuern erzielen.“
Josef Neumann: „Unbedingt gebraucht werden auch mehr Förderprogramme mit bewusst niedrigen Eigenanteilen. Davon könnten Städte wie Wuppertal oder Regionen wie das Bergische Land klar profitieren.“
Rundschau: Wie stehen Sie zum Thema einer Wuppertaler Bundesgartenschau?
Josef Neumann: „Eine Bundesgartenschau ist echte Stadtentwicklung mit dem Potenzial zur Steigerung von Wirtschaftskraft und Attraktivität. Auf dem Weg dahin darf es aber nicht zur Lagerbildung kommen, sondern es müssen auch Kompromisse möglich sein. Es geht auch immer darum, die beiden Bereiche Grün und Gewerbe miteinander zu verbinden. Die Zukunft des riesigen Ex-Schaeffler-Geländes in der Varresbeck könnte da ein gutes Beispiel für Zukunftsfähigkeit und Transformation sein. Da hätte der Wuppertaler Oberbürgermeister die Landtagsabgeordneten viel besser einbinden können.“
Andreas Bialas: „Gebraucht werden außerdem mehr grüne Flächen auf der Talachse, denn dort ist Wuppertal keineswegs eine grüne Großstadt. Wie wichtig solche Areale gewesen wären, hat das Wupper-Hochwasser im Sommer vergangenen Jahres gezeigt. Ähnliches gilt für die Themen „Schwammstadt“, Dachbegrünung und vieles andere, was zum Bereich klimagerechter Planungen gehört. Aber fest steht, dass es nicht reicht, darüber zu reden, sondern man muss es dann auch machen! Meine Grundhaltung ist, dass wir das Wissen, das wir beim Thema Klimaschutz haben, auch in Einsichten und operatives Handeln verwandeln müssen.“
Rundschau: Gibt es für Sie besondere Herzensangelegenheiten in Sachen der politischen Zukunft in Nordrhein-Westfalen?
Dilek Engin: „Für mich sind das ein chancengerechtes Bildungssystem sowie modernisierte, überarbeitete Lehrpläne, denn eine moderne Schule erkennt man bei weitem nicht nur an WLAN und Tablets. Außerdem muss der Kita-Besuch überall kostenlos werden. Nicht zu vergessen die Säulen soziale Gerechtigkeit, zukunftsorientierter Verkehr und bezahlbarer Wohnraum in auf die Bedürfnisse der Menschen hin entwickelten Stadtquartieren. Zusätzlich müssen wir, obwohl es zuletzt finanzielle Erhöhungen gegeben hat, immer die Renten im Blick haben. Da machen wir von der Landesebene aus Druck auf den Bund.“
Josef Neumann: „Meine Schwerpunkte sind die Stärkung der Sektoren Gesundheit und Pflege, ein Neustart für zukunftsbewusste Investitionsbedingungen, die Sicherung der Versorgung mit Fachkräften sowie – und das hat auch viel mit Gesundheit zu tun – rechtssicherer und zukunftsfester Lärmschutz beispielsweise entlang der A46 und der B7.“
Andreas Bialas: „Ich engagiere mich stark in Sachen Innere Sicherheit und Kultur. Beim ersten Punkt hat mir meine Mitarbeit in mehreren Landtagsuntersuchungsausschüssen gezeigt, wie wichtig es ist, dass unsere Kinder so sicher aufwachsen können, dass sie vor Gewalt und sexualisierter Gewalt jeder Art geschützt sind. Darüber hinaus werfe ich angesichts der Ereignisse rund um die Flutkatastrophe CDU-Innenminister Reul komplettes Versagen beim Zivilschutz vor. Entweder konnte oder wollte er in der Krise nicht führen. So etwas darf auf keinen Fall noch einmal passieren. Es braucht wieder mehr Wehrhaftigkeit des Staates zum Schutz der Bevölkerung. Im Bereich Kultur müssen wieder verstärkt auch die Menschen und nicht nur die Institutionen in den Mittelpunkt der Förderung gerückt werden.“