Rundschau-Gespräch mit CDU-Politiker Herbert Reul "Die Staaten werden immer egoistischer"
Wuppertal · Das Büsseler Newsportal hat ihn gerade zum siebtwichtigsten der 751 Europaabgeordneten gewählt: Herbert Reul kümmert sich um die großen EU-Themen, aber zwischendurch auch ums Speiseeis. Beim Besuch in der Rundschau-Redaktion sprach das CDU-Euro-Urgestein über beides.
Speiseeis? Durchaus! "Für ein gutes Eis kann man mich nachts wecken", bekennt der 63-Jährige und freut sich über den gemischten Fruchtbecher, den es als kleine Stärkung beim Redaktionsgespräch gibt. Seine Initiative für einen "Europäischen Tag des handwerklich hergestellten Speiseeises" mutet dabei ähnlich exotisch an wie sein inzwischen jahrelanger Kampf gegen die Sommerzeit.
"Natürlich gibt es wichtigere Themen und man muss aufpassen, dass man kein Clown wird", sagt Reul -- auch mit Blick auf das Foto einer schon legendären Pressemitteilung, das ihn einst in Buster-Keaton-Manier an einer Turmuhr hängend zeigte. Aber die gesundheitlichen Folgen der Zeitumstellung seien immerhin gravierend und wissenschaftlich belegt. Und die meisten Zuschriften aus der Bevölkerung bekommt er genau zu diesem Thema.
Wesentlich mehr im Fokus stehen aber auch bei Reul, der seit 2004 im Europäischen Parlament sitzt, die großen politischen Fragen dieser Tage: Brexit, Finanzkrise, Terrorismus und besonders die Flüchtlingspolitik.
Eine Häufung, die auch für den erfahrenen Europa-Fuchs Neuland ist. "Als ich 2004 nach Brüssel kam, haben alle gesagt: 'Keiner interessiert sich für uns.' Dann kam die Meckerphase wegen der Regulierungswut. Und heute sind unsere Veranstaltungen voll, weil es plötzlich so wichtige Themen gibt, die nur auf europäischer Ebene gelöst werden können."
Allen voran die Flüchtlingsfrage. Reuls Einschätzung dazu: "Es war sicher ein Fehler, sich damals bei Lampedusa auf die Dublin-Regelung zurückzuziehen, das habe ich auch falsch gesehen. Wir hätten erkennen müssen, dass dieses System bei den großen Flüchtlingszahlen nicht mehr reicht", blickt er auch selbstkritisch auf den Start des Flüchtlingsansturms zurück und das Festhalten am aufs Ankunftsland fokussierten Verteilungsprinzip zurück. Und die Lösung? Reul: "Wenn das Dublin-Prinzip nicht mehr reicht, brauchen wir eine freiwillige Aufnahme. Und wer da nicht mitmacht, muss zahlen."
Nicht leicht durchzusetzen in einem politischen Europa, bei dem auch nach Reuls Einschätzung die "Staaten immer egoistischer" werden und es nicht mehr genug große Lenker gebe. Auch, weil die EU zu groß ist? "Bei Rumänien und Bulgarien fand ich den Beitrittszeitpunkt falsch. Aber in der Politik kann man die Zeit nicht zurückdrehen."
Auf dem Weg zur Lösung der europäischen Kernfragen glaubt Reul an Erfolge durch kleine Schritte. "In der Außenpolitik muss man lernen Kompromisse zu machen und dabei Grenzen richtig zu setzen", sagt er auch mit Blick auf die schwierigen Verhandlungen zwischen der EU und der Türkei und lobt das Ministerium von SPD-Außenminister Steinmeier: "Was die an der diplomatischen Front wegackern, ist riesig!"
Nicht ganz so riesig findet Reul die Atmosphäre zwischen den Großstädten in seinem bergischen Heimatwahlkreis: "Es ist schade, dass sich die drei Städte so schwer damit tun, gemeinsam aufzutreten." Viele Aufgaben seien einfach so groß, dass sie einer alleine nicht stemmen könne. "Ich sehe doch in anderen kleinen Regionen, wie die sich über die Jahre erfolgreich organisiert haben." Unabhängig davon findet er, dass sich Wuppertal prächtig entwickelt hat: "Alleine die Kultur hier ist doch irre: Gucken Sie nur mal, wie oft Wuppertal in der 'Welt" vorkommt!"
Und dass es hier leckeres Eis gibt, weiß Reul jetzt auch.