Interview: Wenn eine Geburt nicht im Krankenhaus stattfindet Auf einen Kaffee mit einer Hebamme
Wuppertal · Rundschau-Redakteurin Nina Bossy trifft Nora Finkenrath im "Milia's Coffee". Während des Gesprächs kommt eine Mutter, zeigt ihr den Jungen, der im Tragetuch vor ihrem Bauch hängt. Nora Finkenrath streichelt entzückt das kleine Köpfchen.
"Wie du gewachsen bist." Das Kind lächelt.
Rundschau: Frau Finkerath, seit zweieinhalb Jahren arbeiten Sie als selbstständige Hebamme im Geburtshaus Wuppertal. Wie viele Geburten haben Sie begleitet?
Finkenrath: Es waren insgesamt 150 Kinder.
Rundschau: Der Erhöhung der Berufshaftversicherung für Hebammen hat 2015 medial für Aufregung gesorgt, viele Ihrer Kolleginnen haben ihren Beruf aufgegeben. Das war genau das Jahr, als Sie in den Beruf gestartet sind.
Finkenrath: Ja, aber ich habe mir damals keine Sorgen gemacht. Ich wusste, Hebammen muss es immer geben. Und ich bin alleinstehend, habe keine Familie zu versorgen. Es muss nur für mich selbst reichen. Und heute weiß ich, dass man von dem Gehalt gut leben kann.
Rundschau: Dann ist es wieder um das Thema still geworden. Wie ist derzeit die Lage?
Finkenrath: Die Situation ist tatsächlich besser geworden. Die Versicherungsbeiträge steigen zwar, aber seit einem Jahr wird ein Großteil vom Spitzenverband der Krankenkasse getragen.
Rundschau: Sie arbeiten als freiberufliche Hebamme, das heißt, Sie begleiten die Frauen bereits während der Schwangerschaft und weiter nach der Entbindung. Und die Frau bestimmt den Geburtsort.
Finkenrath: Genau. Die Plätze im Geburtshaus zu belegen, hat zunächst Priorität, auf Wunsch begleiten wir die Frauen auch bei Hausgeburten, und bei medizinischer Notwendigkeit können wir ins Bethesda gehen.
Rundschau: Gegner von Hausgeburten sagen, sie seien ein medizinisches Risiko.
Finkenrath: Das sehe ich anders. Natürlich ist bei einer Hausgeburt kein Arzt dabei, aber ich habe für den Ernstfall alle Medikamente dabei. Geht eine Frau direkt ins Krankenhaus, gibt es ganz neue Risiken. Eine Hebamme muss sich dort um mehrere Geburten kümmern. Die Frau ist die ganze Zeit ans CTG angeschlossen, dadurch sehr bewegungseingeschränkt. Die Ärzte haben auch neben der Geburt noch viele andere Dinge zu erledigen. All diese Faktoren haben auf das Kind Auswirkungen. Übrigens ist das Geburtshaus nur knapp 200 Meter vom Bethesda entfernt. Gibt es einen Notfall, sind wir sofort da.
Rundschau: Fast jeder Bereich des Lebens ist von Moden geprägt. Auch die Geburt?
Finkenrath: Ich würde es nicht als Trend bezeichnen, aber tatsächlich wollen derzeit viele Frauen nicht das Geschlecht des Kindes vorher wissen.
Rundschau: Weil sie sich in einer Welt, in der man alles errechnen kann, den Zauber des Unwissens zurücksehnen?
Finkenrath: Vielleicht. Und weil bei vielen Eltern das Geschlecht auch in der Erziehung keine primäre Rolle mehr spielen soll. Diese Eltern sagen, ich will sowieso kein rosa Kinderzimmer. Und auch wenn mein Kind da ist, soll es in keine Geschlechterrolle gedrängt werden, es soll sich jenseits von rosa und blau frei entfalten.
Rundschau: Welche Entwicklungen nehmen Sie zudem rund um das Thema Geburt wahr?
Finkenrath: Weibliche Sexualität und die Geburt sind kein Tabuthema mehr. Das führt auch dazu, dass man mehr über schlimme Ereignisse erfährt. Fehlgeburten wurden früher verschwiegen, heute sprechen die Frauen darüber. Früher hat man den Frauen geraten, die Schwangerschaft die ersten zwölf Wochen geheim zu halten. Haben sie ihr Kind verloren, konnten sie so den Mantel des Schweigens drüber hängen. Heute sprechen sie früh über die Schwangerschaft und auch über die Verluste. Das kann befreiend oder auch belastend sein, weil man auch nach dem Verlust immer wieder auf das Geschehen angesprochen wird. Jede Frau muss hier ganz individuell entscheiden.
Rundschau: Wir dokumentieren unser Leben permanent. Welche Rolle spielen Smartphones im Geburtshaus?
Finkenrath: Bei uns tatsächlich kaum eine. Das liegt aber auch daran, dass wir keine Schmerzmittel geben, die Frau geht auf und ab und ist mit sich und der Geburt beschäftigt. Bekommt eine Frau eine PDA, fühlt sie keine Wehe mehr, sondern liegt da nur. Da hat sie theoretisch Zeit, Mails zu checken und bei Facebook zu surfen.
Rundschau: Wie stellen sich die Männer heutzutage an? Fallen manche wie im Hollywoodfilm in Ohnmacht?
Finkenrath: Das habe ich noch nicht erlebt. Es ist eine Typsache. Die meisten Männer, die zu uns mitkommen, begleiten ihre Frau sehr liebevoll.
Rundschau: Eine Frage, die man einer Hebamme stellen muss: Welche Namen sind gerade Trend — und was war der schlimmste Name, den Sie je erlebt haben?
Finkenrath: Bei uns im Geburtshaus heißen viele Kinder gerade Mathilda, Ida, Noah, Elia. Einmal habe ich mitbekommen, dass eine Familie ihren dritten Sohn bekommen hat. Sie haben ihm drei Namen gegeben: Den des Vaters und die der zwei Brüder. Ihnen waren schlicht die Ideen ausgegangen. Das fand ich so schade, wie soll dieses Kind eine eigene Identität entwickeln?
Rundschau: 150 Kinder. Haben Sie eine Job-Routine?
Finkenrath: Ich bin mit meiner Arbeit sehr sicher, aber keine Geburt verläuft gleich, in der Geburtshilfe ist nichts unmöglich. Und ich bin den Eltern, die ich betreue, sehr nah. Sie bei ihrem Glück zu sehen, das berührt mich immer wieder.