Tanztheater: Neueinstudierung von „Nelken“ Voller Zauber – immer noch
Wuppertal · In der Erinnerung wirkt vieles verschwommen. Ich habe „Nelken“ von Pina Bausch nur einmal gesehen. Vor etwa 30 Jahren. Jetzt läuft die Neueinstudierung. Und alles ist wieder da.
„Nur“ 110 Minuten dauert dieses Stück, das ohne Pause auskommt. Niemand von damals ist heute auf der Bühne – und nein, das macht gar nichts. Im Gegenteil. Dem gesamten Ensemble gelingt es, diesen seltsamen, berührenden, manchmal auch erschreckenden Reigen, der sich den zahllosen Facetten der Liebe widmet, voll und ganz zum Publikum zu bringen.
Wen oder was soll man hervorheben, wen oder was besonders betonen? Wo beginnen, wo aufhören? Andrey Berezin, der auf seine ganz eigene Weise das tut, was vor langer Zeit Jan Minarik tat. Ein würdiger, kantiger Nachfolger. Was genau genommen für sie alle gilt, die da im Nelkenmeer einander begegnen, sich voneinander entfernen, mit sich in die Stille gehen – oder auch aus sich heraus.
Großartig Reginald Lefebvre: Seine wunderbare Gebärdensprache-Übersetzung des Gershwin-Songs „The man I love“ gibt es gleich zweimal, zu Beginn und am Ende. Auch sonst aber ist seine Präsenz raumgreifend. Und sein Augenaufschlag köstlich. Der wird nur noch übertroffen von den Blicken, mit denen Julian Steierle um sich wirft.
Oder die außergewöhnliche Papageien-Performance von Simon Le Borgne. Taylor Drury und Tsai-Wei Tien voller Emotion. Überhaupt alle gemeinsam: Bei jenen rasant wogenden Gruppen-Choreographien, die dem langweiligen Möbel Stuhl neuen Sinn geben. Und natürlich die „Nelken“-Line, die in so knappen Bewegungen alle vier Jahreszeiten zusammenfasst, beinahe nie endet – und die man nicht vergisst, wenn man sie jemals gesehen hat.
„Nelken“ ist nicht immer zärtlich oder humorvoll. „Nelken“ ist auch hart. Wenn vier grimmige Stuntmen mit einem Tisch, auf den sie springen und von dem sie stürzen, Meter für Meter bei dramtischer Musik auf eine vor Angst wie auf ihrem Platz „festgewachsene“ Aida Vanieri zukommen – das fesselt.
Und noch etwas ist voller ganz eigenem Zauber bei diesem alten Stück, das schon 1982 erstmals auf die Bühne kam: Tänzerinnen und Tänzer erzählen von sich, interagieren mit dem Publikum. Tanz und Theater. So wie Pina Bausch es erfunden hat.
Viele Bausch-Stücke haben ikonische Bilder geschaffen. „Nelken“ hat besonders zahlreiche davon. In der Erinnerungen vermischen sie sich manchmal. Nicht schlimm. Denn die Geschichten, die Pina Bausch erzählt, gehören alle zusammen. Das macht ihr keiner nach.
Weitere Aufführungen im Opernhaus gibt es am 30. und 31. Januar 2024 sowie am 2., 3. und 4. Februar 2024.
Alle Informationen auf www.pina-bausch.de