Wuppertaler Schauspiel zeigt „Prima Facie“ Eine große Zeugin der Anklage
Wuppertal · Was macht ein von Männern dominiertes Justizsystem mit einem weiblichen Vergewaltigungsopfer? Nichts Gutes. In Suzie Millers Theaterstück „Prima Facie“ erfährt die Strafverteidigerin Tessa Ensler das am eigenen Leib.
Die Australierin Suzie Miller, selbst Anwältin, hat einen knapp über anderthalbstündigen Theater-Monolog (ohne Pause) für eine Frau entworfen. Das Wuppertaler Schauspiel bringt das preisgekrönte Werk auf die Bühne des Theaters am Engelsgarten – und landet mit der großartigen Julia Wolff einen Volltreffer, der nachhaltig im Gedächtnis bleibt.
Der dicht und voller Bewegung strukturierten Inszenierung von Johanna Landsberg gelingt es – auch dank des intelligent-mehrschichtigen Bühnenbildes von Johanna Rehm – eine Geschichte zu erzählen, die sich erst langsam und quasi alltäglich aufbaut, dann aber in einem bitteren, beschämenden Finale gipfelt.
Julia Wolff spielt die erfolgreiche Strafverteidigerin Tessa Ensler, deren Spezialität das „Heraushauen“ von Männern ist, die wegen sexuellen Missbrauchs angeklagt sind. Dann wird sie Opfer einer Vergewaltigung durch einen ihrer Kanzlei-Kollegen – und wechselt gezwungenermaßen die Seiten ihrer bisherigen Welt.
Sie, die bisher stets wie eine „Justiz-Maschine“ agierte, ist plötzlich ein verletzter Mensch. Alles, was sie konnte und wusste, gilt nicht mehr. Sie reiht zahlreiche allzu menschliche Fehler aneinander. Das System, dessen Teil sie gerne war, frisst sie. Was sie unter „Gerechtigkeit“ verstand, geht vor die Hunde. Ihr Auftritt im Zeugenstand nützt ihr nichts. Die mehrheitlich männlich besetzte Geschworenen-Jury (das Stück spielt in Großbritannien) glaubt ihrem Vergewaltiger, der freigesprochen wird.
Das in „Prima Facie“ Erzählte ist streckenweise schwer auszuhalten. Schlösse man die Augen, wäre es ein Hörspiel. Und was für eines! Wie Julia Wolff das macht, verdient großen, großen Applaus. Den sie am Ende auch bekommt. Nur einmal, während Tessa Enslers Schluss-Appell vor Gericht, erlahmt der Spannungsbogen leicht, wird der Text etwas zu formelhaft. Um Sekunden später aber wieder volle Fahrt für den Schluss aufzunehmen.
Dieses Stück tut weh. Und es ist wahr. Schon allein, weil unter „Zahlen & Fakten“ im Programmheft nachzulesen ist: „2023 wurden in Deutschland 52.330 Frauen und Mädchen Opfer von Sexualstraftaten; über die Hälfte davon waren minderjährig. Auf den Tag umgerechnet macht das 143 Frauen pro Tag.“
„Prima Facie“, das seinen Titel einem juristischen Fachbegriff verdankt, den man mit „dem ersten Anschein nach“ übersetzen kann, legt einen großen Finger in eine tiefe Wunde.
Das Gesicht und die Stimme von Julia Wolff markieren in Wuppertal eine Besetzung, die optimaler kaum sein könnte.