Passionskonzert der besonderen Art Ungewöhnlich und bewegend

Wuppertal · Passionskonzert der besonderen Art: Das Wuppertaler Sinfonieorchester spielt ein kleines barockes Wunderwerk – und Bernd Alois Zimmermanns düstere Endzeitmusik.

Mitreißend spielt das Wuppertaler Sinfonieorchester in kleiner Besetzung beim Sinfoniekonzert Nr. 8 unter Generalmusikdirektor Patrick Hahn.

Foto: Uwe Schinkel

Das Konzert beginnt mit einer Ungeheuerlichkeit: Jean-Féry Rebel (1666 – 1747) lässt alle Töne der d-Moll-Tonleiter gleichzeitig erklingen. Ein solcher „Cluster“ wäre in der Musik nach 1950 nicht der Rede wert, im Jahr 1737 freilich bedurfte es der Legitimation durch ein außermusikalisches Programm.

Rebel stellt hier das Chaos dar, Urzustand einer wüsten und leeren Erde, das allmählich in einen Zustand der Ordnung übergeht. Rebel hat nicht nur diesen Eingangssatz seiner Orchestersuite „Die Elemente“ ausgesprochen originell komponiert, sondern es folgen mitreißende Nummern zwischen schmissiger Jahrmarktskapelle (mit tollem Oboensolo: Sabine Rapp) und intimem Trio, dazu delikate Soli für Flöte (großartig: Yulia Mun) und Piccoloflöte (ebenso: Ulrike Siebler).

Unter der Leitung von GMD Patrick Hahn spielt das Sinfonieorchester in kleiner Besetzung mitreißend. Verwundert fragt man sich: Warum wird dieses abwechslungsreiche Werk nicht viel häufiger gespielt?

Cluster sind bei „Atmosphères“ von György Ligeti dagegen Programm. Das 1961 uraufgeführte Werk, eine sich wandelnde Klangfläche ohne Rhythmus oder Melodie, ist längst ein Klassiker der Moderne geworden. Hahn betont die subtilen Klangfarbenwechsel vielleicht ein wenig zu deutlich. Gleichwohl: Die hochkonzentrierte Aufführung des weniger als zehn Minuten kurzen Werkes, das mit Atem- und Kratzgeräuschen endet, als würden Musik und Klang allmählich entschwinden, beeindruckt sehr.

Das Hauptwerk dieses Konzerts ist Bernd Alois Zimmermanns als „Ekklesiastische Aktion“ bezeichnete Komposition „Und ich sah an alles Unrecht, das geschah unter der Sonne“ für großes Orchester, Bariton und zwei Sprecher.

Dem Bibeltext, dem der Titel entstammt (aus dem vierten Kapitel des Buches Prediger) stellt Zimmermann eine Passage aus Dostojewskis Roman „Die Brüder Karamasow“ gegenüber. Darin will der Großinquisitor den unter die Menschen zurückgekehrten Jesus verhören, es bleibt aber bei einem Monolog des Anklägers über die Unfähigkeit der Menschheit zur Freiheit.

Gegenüber Zimmermanns beklemmender Musik bleibt die von Valentin Lewitsch entworfene szenische Einrichtung, bei der im Wesentlichen zwei junge Frauen auf der halbdunklen Chor-Empore einen Lebensbaum beschneiden, eher banal und überflüssig.

Dagegen kann man sich der faszinierenden Wirkung der Blechbläserakkorde, die den Großen Saal der Stadthalle ausfüllen (drei Posaunen blasen von der Empore zum jüngsten Gericht), kaum entziehen. Weltklasse-Bariton Bo Skovhus singt den Solopart mit hoher Intensität – Thomas Braus und Stefan Walz agieren virtuos als Sprecher.

Am Ende des fesselnden, etwas mehr als halbstündigen Werkes setzt Zimmermann den Bach-Choral „Es ist genug“ (den auch Alban Berg in ganz ähnlicher Funktion in seinem Violinkonzert zitiert) – ein Abschied von der Welt, den Zimmermann kurz nach Beendigung der Komposition durch Suizid in tragischer Weise vollzogen hat. Darin blitzt eine Hoffnung auf Erlösung auf, die Zimmermann in eigenen Tönen nicht geben wollte oder konnte.

Viel Applaus für ein ungewöhnliches, bewegendes Konzert.