Tanztheater Pina Bausch Adolphe Binder: „Kampf um meine künstlerische Handlungsfreiheit“

Wuppertal · Nach dem Ende der Rechtsstreitigkeiten hat Adolphe Binder, ehemalige Intendantin des Wuppertaler Tanztheaters Pina Bausch, eine persönliche Stellungnahme abgegeben. Der Wortlaut.

Adolphe Binder mit ihrem Anwalt.

Foto: Mikko Schümmelfeder

„Trotz der großen Unterstützung, die ich besonders in den letzten 19 Monaten aus der Öffentlichkeit und aus den Reihen des Tanztheaters erfahren durfte und trotz der in allen drei Instanzen gewonnenen arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzung habe ich mich schweren Herzens entschlossen, zukünftig auf die Intendanz des Tanztheaters Wuppertal Pina Bausch zu verzichten und einen gerichtlichen Vergleich zu schließen.

Meine Berufung habe ich als einen bedeutenden Auftrag verstanden, mit diesem einmaligen Ensemble die Brücke ins 21. Jahrhundert zu schlagen und somit Erbe und Neuerung ex aequo als gepaarte Kräfte des Tanztheaters miteinander zu verknüpfen. Mit großer Unterstützung der Tänzerschaft und vieler anderer Mitarbeiter durfte ich erfolgreich Impulse setzen, Moderatorin und Motor sein, um das große Werk von Pina Bausch weiter auf hohem Niveau strahlen zu lassen, lange nicht Gezeigtes zu präsentieren, es in zeitgenössischen Rahmen neu zu kontextualisieren und gleichzeitig das reiche Repertoire um Werke anderer hervorragender Choreographen erweitern. Dieser Kreativprozess hat Früchte getragen und wurde vom internationalen wie vom Wuppertaler Publikum begeistert aufgenommen. Die Zeit als Intendantin und Künstlerische Leiterin des Tanztheaters gehört deshalb zu den wertvollsten Erfahrungen meines Lebens. Bei allen Mitstreiterinnen und Mitstreiter, die mich auf diesem Wege unterstützt, begleitet und mit mir gemeinsam um den richtigen Weg gerungen haben, möchte ich auf diesem Wege noch einmal ganz herzlich bedanken. Künstlerische Arbeit, wie ich sie verstehe, braucht die Auseinandersetzung, braucht Offenheit und Transparenz. Nur ein Theater, das auf Intrigen und Machtspiele verzichtet, kann die Form von Konflikt- und Streitkultur entwickeln, ohne die keine wirklich neue Kunst entstehen kann. Wenn, wie es beim Tanztheater nun einmal der Fall ist, Traditionen und Gewohnheiten die Arbeit über längere Zeit bestimmt haben, ist dies sicherlich eine Herausforderung. Sie kann auf Dauer nur erfolgreich umgesetzt werden, wenn alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bereit sind, den damit verbundenen Umgestaltungsprozess mitzutragen.

Es war für mich deshalb ein wirkliches Geschenk, insbesondere bei allen Künstlerinnen und Künstlern, speziell aber bei denen, die noch gemeinsam mit Pina Bausch die legendären Stücke entwickelt haben, große Offenheit, Vertrauen und viel Freude an Neuem zu erleben.

Diese Offenheit und den Mut im Hinblick auf die Zukunft Neues zu wagen und die Kunstfreiheit in den Mittelpunkt zu stellen, habe ich leider bei der damaligen Geschäftsführung, dem Beirat und den Vertretern der Stadt Wuppertal, die mich 2016 zur Intendantin berufen -und mit der Aufgabe einen künstlerischen Weiterentwicklungsprozess einzuleiten betraut haben - in künstlerischer Hinsicht, aber auch bezüglich der notwendigen organisatorischen Neuausrichtung des Tanztheaters, vermisst. Das Tanztheater ist weder eine Behörde noch ein profitorientiertes Tourneetheater, sondern eine national und international bedeutende kulturelle Institution, die die Verpflichtung hat der Kunstfreiheit zu dienen. Das Erbe von Pina Bausch kann nur in einer Atmosphäre von Achtung und gegenseitigem Respekt weiter gepflegt und in eine lebendige Zukunft überführt werden. Macht über Menschlichkeit zu stellen und Dialoge auf Augenhöhe zu vermeiden, mögen in der Politik gebräuchliche Mittel sein, im Zusammenhang mit den Namen Pina Bausch dürfen sie keinen Platz haben.

Zu meinem großen Bedauern musste ich aber einsehen, dass bis heute bei den alten und neuen Verantwortlichen des Tanztheaters keinerlei Bereitschaft besteht, mich bei der Umsetzung meiner vertraglich zugesicherten künstlerischen Aufgabe tatsächlich zu unterstützen. Stattdessen müsste ich, wie schon in der Vergangenheit, sehr viel Zeit für den Kampf um meine künstlerische Handlungsfreiheit statt für die Weiterentwicklung der Tanzkunst aufwenden. Eine Situation, in der Gerichte die Kunstfreiheit gegen die Organe des Tanztheaters verteidigen müssten, würde den Ruf eines der wichtigsten zeitgenössischen Compagnien in einer Weise belasten, die ich nicht verantworten will und kann.

Einzig und allein aus der Sorge, dass dadurch das künstlerische Erbe von Pina Bausch weiteren Schaden nehmen würde, habe ich mich zu diesem Schritt entschlossen. Ich bedaure sehr, dass ich für mich nicht die Möglichkeit sehe, meinen Weg, der ja bereits zu nicht unerheblichen künstlerischen und wirtschaftlichen Erfolgen geführt hat, fortzusetzen. Das Werk von Pina Bausch durchzieht eine tiefe Humanität, die seit Jahrzehnten die Menschen weltweit bewegt. Eine Humanität, die aus der Liebe entstanden ist und die für alle, die sich mit dem Werk von Pina Bausch in welcher Funktion auch immer befassen, eine Verpflichtung sein sollte. Ich wünsche meinen Nachfolgern, dass sie sich von dieser Liebe, die Pina Bausch zum Tanz und zu den Tänzern empfunden hat und die in diesem wunderbaren Ensemble immer noch erlebbar ist, ähnlich inspiriert und bereichert fühlen, wie ich es erleben durfte.“