Tanztheater Pina Bausch Laub, leere Liebe, langes Haar
Wuppertal · Keine Zeit der Zärtlichkeit: Vor 43 Jahren wurde Pina Bauschs „Blaubart“ uraufgeführt – inklusive Skandalpotenzial. Über zwei Jahrzehnte lang war das 110-Minuten-Stück nicht mehr zu sehen. Jetzt hatte im Opernhaus die Neueinstudierung Premiere. Ein dichter, düsterer Abend aus der zeitlosen Welt des offenbar nimmer enden werdenden Sich-gegenseitig-Verletzens zwischen Männern und Frauen.
Voller Laub die kahle Bühne. Herzog Blaubarts Burg ist weder ein heimeliger, noch ein nobler Ort. Ein Stuhl, ein mobiles Tonbandgerät, Türen, leere Fenster. Oleg Stepanov als Blaubart, Tsai-Chin Yu als Judith. Sie versuchen einander zu umarmen, sich zu lieben. Judith streckt ihm ihre Arme sehnsüchtig entgegen. Doch Blaubart hantiert immer wieder mit dem Tonband, unterbricht hektisch die Musik, gönnt sich und niemandem sonst Ruhe. So fängt das an. Und so geht das – ohne Pause – weiter bis zum bitteren Ende.
„Blaubart. Beim Anhören einer Tonbandaufnahme von Béla Bartóks Oper ‚Herzog Blaubarts Burg‘“ ist heute, im Jahr 2020, neu einstudiert unter anderem von Jan Minarik, der 1977 die Titelrolle hatte, eine Zeitreise zurück zu den radikalen Wurzeln dessen, was Pina Bausch damals ganz neu und anders machte. Und es ist kein bisschen verstaubt, sondern tut immer noch in der Seele weh. Beziehungsweise dem Auge und/oder dem Ohr.
Bartóks Kurzoper, die die Sage vom blutigen Herzog, der auf seiner düsteren Burg seine drei früheren „untoten“ Frauen in der letzten von sieben verschlossenen Kammern eingesperrt hält und ihnen mit der ihn liebenden Judith eine vierte hinzufügt, liefert den zerhackten, fragmentierten Rahmen, liefert die Musik, den Text. Nie aber zärtlich oder impressionistisch, immer voller Schmerz.
Kaum spricht jemand aus dem Ensemble. Nur einmal ein mehrfach geschrienes „Ich liebe dich!“ Ansonsten Atmen, Keuchen, irres Lachen, Weinen. Und das immer raschelnde Laub. Großartige Diagonal-Choreographien unter Ausnutzung des gesamten Bühnenraumes, Massenszenen mit viel Körperlichkeit, dann stille Zweier-Momente.
Immer und immer wieder das lange Haar der Frauen: Sie verhängen ihre Gesichter damit, wischen es manisch nach unten, schlagen damit auf Blaubart ein, bilden in einer Szene einen beinahe architektonisch anmutenden Quader aus Haar.
Die Männer anfangs in Anzügen, dann in Bademänteln und dämlich-bunten Samt-„Badehosen“ – als platte Poser á la Bodybuilding: Da kann man(n) nur noch lachen.
Das aber bleibt im Hals stecken, wenn die immer und immer wieder wie in endlosen Schleifen gezeigten Annäherungen, Abweisungen, Zärtlichkeitssehnsüchte, Gewalttätigkeiten einfach nicht aufhören wollen. Oder wenn in einer Szene nichts anderes zu hören ist als das leise Laub und tränenreiches Schluchzen.
Da ist es, was Pina Bausch (unter anderem) weltberühmt gemacht hat: Das gnadenlose Wirklichkeitsbrennglas, das dem Zuschauer nichts erspart – kombiniert mit machtvollen Bild- und Tanzsequenzen.
Die Musik und der immer wieder unterbrochene (deutsche) Gesangstext, der manchmal sehr gut, dann wieder kaum verständlich ist, liefern den Treibstoff dieses Stückes.
Blaubart steuert, dirigiert, lenkt das Geschehen auf seiner Burg mit ewigem Vor- und Zurückspulen des Tonbandes, mit dem Klatschen seiner Hände ähnlich einer makaberen „Reise nach Jerusalem“. Oleg Stepanov spielt ihn als Gehetzten, Getriebenen mit leerem Blick. Ein Einsamer ohne Liebe im Herzen, der letztlich auch Judith (Tsai-Chin Yu zerbrechlich, aber auch stark, schließlich sich ins Schicksal ergebend) aus dem Leben nimmt.
Wie gesagt – keine Zeit der Zärtlichkeit. Aber ein großes Stück Tanztheater. Unvergänglich.
Und ja, auch verstörend. Immer noch.