Wuppertaler Bühnen Mordsparty im Großstadt-Apartment

Wuppertal · Zwischen Irritation und Faszination: Die Wuppertaler Bühnen verschmelzen "Surrogate Cities" von Heiner Goebbels mit dem letzten Akt aus Wagners "Götterdämmerung".

Ein Fall von visueller Überfrachtung? Irgendwo in der Mitte zwischen Streichern (vorne) und Bläsern (hinten) liegt der tote Siegfried, von Gunther bewacht, wie man auf den Leinwänden erkennt.

Foto: Jens Grossmann

Schick sehen sie aus, die Wuppertaler Sinfoniker, diesmal ganz in weiß. Die Streicher und Harfen sitzen auf dem hoch gefahrenen Orchestergraben, Bläser und Schlaginstrumente auf der Hinterbühne. Dazwischen gibt es auf einem recht schmalen Streifen ein angedeutetes Apartment mit Küche und, ganz wichtig, Dusche (Bühne: Katrin Wittig). Wer da zu den Klängen von Heiner Goebbels‘ gut hörbaren, jazz-affinen "Surrogate Cities" für Stimme und Orchester aus dem Jahr 1994 duscht, unbekleidet und per Live-Kamera auf zwei Leinwände übertragen, das ist Lucia Lucas.

Zur Erinnerung: Die Dame hat die Stimmlage Bassbariton und war vor einiger Zeit noch ein Mann. Hier wird sie etwas später den Finsterling Hagen singen, und das sehr ordentlich, zwar mit nicht sehr "schwarzer" Stimme, aber doch der nötigen Durchschlagskraft. Aber erst einmal gebührt dem jungen Dirigenten Johannes Pell höchstes Lob, der in der vorigen Spielzeit ja schon (unter anderem) einen formidablen "Rigoletto" dirigiert hat und jetzt umsichtig diese ausgesprochen heikle Orchesteraufstellung bewältigt — mit lässiger Souveränität bei Goebbels, im dritten Akt von Wagners "Götterdämmerung" anfänglich auf Sicherheit bedacht, aber zunehmend freier und dramatischer.

Dass sich Wagners Klangfarben in dieser Anordnung nicht ideal mischen, dafür kann weder er, noch das sehr konzentriert aufspielende Orchester etwas. Aber der Reihe nach: Es wird nicht nur geduscht, sondern auch gekokst, uriniert und erbrochen, und zu Goebbels‘ Großstadtmusik geistert eine sehr hübsche und sehr unglückliche Braut durch den Raum — das ist Gutrune, von Jenna Siladie mit schlanker Stimme und interessantem Timbre gesungen.

Der Beginn des "Rheingolds" wird noch eingeschoben, und irgendwann ist eben die "Götterdämmerung" erreicht, letzter Akt, hier abgehandelt als Endstadium der Hochzeitsfeier. Bräutigam Siegfried (stimmlich nicht allzu gewichtig, aber insgesamt akzeptabel: Ronald Samm) erzählt von früheren Liebschaften, wird von Hagen ganz opernklassisch per Speer erstochen und bekommt seinen pompösen Trauermarsch. Die Herren des präsent singenden Opernchors entfernen sich dezent. Dann ist erst einmal Pause.

Woher danach diese Brünnhilde kommt, vermutlich aus einem Fantasy-Film, das erschließt sich nicht so recht, aber Annemarie Kremer gestaltet die Partie eindrucksvoll. Der Weltenbrand ist reduziert auf eine Stichflamme aus dem Herd, Hagen wird im Schlammbad erstickt. Kaum ist das Erlösungsthema verklungen, geht es auch schon wieder weiter mit Goebbels‘ Vertonung eines in Brecht-Nachfolge arg moralisierenden Textes von Heiner Müller, soulig gesungen von Elisabeth King, während manche der toten Akteure sich räkeln und mit Theaterblut übergossen werden. Nicht nur hier fragt man sich, ob das noch Kunst ist oder vielleicht doch schlicht höherer Blödsinn mit Event-Charakter.

Andererseits prägen sich die Bilder dieser rätselhaften Inszenierung von Jay Scheib ein. Langweilig ist es nie. Scheib erzählt mehr assoziativ als konkret eine Geschichte von einer Gesellschaft, in der jeder jeden hintergeht. Wagner und Goebbels arrangieren sich dabei gar nicht so schlecht miteinander. Ein streitbarer, jedenfalls nicht uninteressanter Abend, der das Publikum aus der Wagner-Komfortzone hinaus drängt.