Saisonauftakt in der Wuppertaler Oper Es darf geklatscht werden …
Wuppertal · … und zwar (auch) unter Anleitung des Intendanten: Eindrucksvoller Saisonauftakt an der Oper mit "Three Tales"
Deutlicher als mit dieser Premiere hätte der neue Intendant Berthold Schneider seinen Anspruch kaum zum Ausdruck bringen können: Eine Oper aus unserem Jahrhundert, die gesellschaftlich höchst brisante Fragen stellt.
Die Frage nämlich nach der Technik — und was sie aus uns Menschen macht. "Three Tales" heißt das Werk, drei Erzählungen also, und sie handeln vom Absturz des Zeppelins Hindenburg im Jahr 1937, von den Atomwaffentests über dem Bikini-Atoll Anfang der 1950er-Jahre und vom Klon-Schaf Dolly. Oder eben auch von der vernichtenden Kraft der Technik, der Zerstörung des Paradieses und der Selbstaufgabe des Menschen, der sich fortan als seelenlose und ersetzbare Bio-Maschine versteht.
Die amerikanische Künstlerin Beryl Korot hat das in drei Video-Collagen verarbeitet, nicht dokumentarisch, sondern durch Verfremdung von Filmausschnitten, Bildern und Tönen. Die Musik dazu ist komponiert von Steve Reich, einem der Väter der Minimal Music, und ist live auf der Bühne zu spielen.
Berthold Schneider lässt diese Video-Oper, bisher nur auf Festivals gezeigt, nun erstmals an einem Stadttheater spielen. Das Publikum sitzt auf mittelprächtig bequemen Drehstühlen auf der ziemlich heißen Bühne des Opernhauses, die Videos werden auf zwei Leinwänden eingespielt. Zur Einstimmung dürfen die Besucher selbst musizieren: Die "Clapping music" von Steve Reich aus dem Jahr 1972, ein zu klatschender Rhythmus, gegen den ein Solist (Schlagzeuger Benedikt Clemens) dasselbe Muster mit winziger Verschiebung setzt — was hier ziemlich gut klappt.
Bei der folgenden Aufführung der "Three Tales" dagegen gibt es im kleinen Orchester (Streichquartett, Schlagwerk, Klavier) und den fünf Sängern (Nina Koufochristou, Ralitsa Ralinova, Andreas Karasiak, Dustin Smailes, Christian Sturm) unter der Leitung von Jonathan Stockhammer insbesondere im ersten Teil doch so manchen Wackler, und diese tückische Musik, die auf den Sekundenbruchteil synchron zum Video gedacht ist, verzeiht keine Ungenauigkeit.
Trotzdem wird das eine sehr eindringliche Aufführung, nicht nur weil die Umsetzung zunehmend an Sicherheit gewinnt. Durch wiederkehrende Zitate aus der biblischen Schöpfungsgeschichte, aber auch durch die Anklänge an Modelle der Barockmusik (etwa die choralartige Stimmführung der Sänger) erzeugen Korot und Reich eine religiöse Grundierung. Da hinterfragt die rund einstündige Oper vielschichtig und ziemlich spannend unsere Technikgläubigkeit.
Ab sofort, das macht dieser fulminante Saisonauftakt deutlich, ist Schluss mit unverbindlichem Wunschkonzert: Die Wuppertaler Oper hat wieder etwas zu sagen. Unbedingt hingehen!