Aus dem Tagebuch der Redaktion Elberfeld, Krone der Städte, Vorbild der Welt!
Wuppertal · Als ich zehn Jahre alt war, brachte mich mein Vater eines Nachmittags mit sanftem Druck zum nahe gelegenen Kurrende-Probenraum. Seitdem singe ich in wechselnden Chören, seit einigen Jahren im Konzertchor der Volksbühne.
Am kommenden Sonntag um 17 Uhr in der Friedhofskirche mit einem auch für mich ungewöhnlichen Programm: Lieder in Althebräisch unter anderem vom ehemaligen Elberfelder Oberkantor Hermann Zivi. Sehr interessant, wohlklingend, für meine Ohren auch wegen der dunklen Vokale fast ein wenig russisch-orthodox wirkend. Und mit Andreas Elias Post in der Rolle des Kantors auch opernhaft dramatisch.
Zum Vortrag kommt aber auch ein weltliches Werk von Zivi, das einem regelrecht die Schuhe auszieht, wenn man das so flapsig formulieren darf. Schließlich handelt es sich um ein Auftragswerk zum 300-jährigen Bestehen der Stadt Elberfeld. Die Textvorlage dazu kam vom populären Heimatdichter Otto Hausmann (viele kennen ihn heute nur noch vom gleichnamigen Ring, er war aber auch der Verfasser der "Lewensgeschichte vam Mina Knallenfalls van äm selwer vertault"). Diese überbordende Ode an die "Ehrfurchtgebietende Vaterstadt Elberfeld" musste nicht nur jedem Barmer, sondern auch den Bürgern von London, Paris oder Konstantinopel die Zornesröte ins Gesicht treiben. Wörtlich heißt es da:
Zweige von Lorbeer'n und Rosen windet wonnig zum Kranz! ... und zieret damit die Krone der Städte, die durch Arbeit und Fleiß dreijahrhunderte lang Ruhm sich und Ehren errang, Achtung sich schuf in der Welt!
Ein solche Hymne wäre zum heutigen Zeitpunkt etwas vermessen, dazu sind die Zweige doch arg verwelkt. Dabei hatte Hausmann doch an höchster Stelle gebeten:
Himmlischer Vater! Schütze die heilige Stätte, stärke, beseel' sie mit Mut! Laß sie auch ferner ... blühen und fröhlich gedeihen, immer ein Vorbild der Welt!
Auch das muss man im Licht der Aktualität ein wenig einschränken. Denn weltweit gibt es inzwischen mehrere Metropolen, die Elberfeld ein Stück weit hinter sich gelassen haben. Und da zählt Barmen nicht mal dazu.
Davon abgesehen ist der Jubelgesang für eingefleischte Elberfelder ein absolutes Muss, zumal Zivi dazu ein musikalisches Kleid geschneidert hat, das im Stil der Männcherchor-Romantik der Jahrhundertwende für das dazu passende Pathos sorgt. Jedenfalls wird es noch vor Weihnachten eine CD-Produktion des Konzertprogramms geben, das natürlich auch den Elberfelder Lobgesang beinhaltet — besonders geeignet für Anwohner der Hardt, des Weinbergs oder der Wolkenburg, die ihre Lautsprecher damit in Richtung Osten auf dem Fensterbrett platzieren können.
Übrigens: Hermann Zivi, der sich 1910 auch dank des Kompositionsauftrags noch als anerkanntes Mitglied der Wuppertaler Stadtgesellschaft fühlen konnte, musste zwei Jahrzehnte später erleben, wie trügerisch diese Einschätzung war. Doch während seine Geschwister in Theresienstadt umgebracht wurden, konnte er 1939 nach Tel Aviv fliehen, wo er zwei Jahre später starb.