Rundschau Frau Bremes, auf Ihrer Wahlkampf-Online-Seite werben Sie mit dem Slogan „Bremes statt Bremse“. Wodurch fühlen Sie sich „ausgebremst“?
Rundschau-Interview zur Landtagswahl FDP: „Ohne Ideologie und Scheuklappen“
Wuppertal · Am 15. Mai wird der neue NRW-Landtag gewählt. Das Wuppertaler Stadtgebiet ist in drei unterschiedliche Wahlkreise aufgeteilt. Die Reihe der politischen Interviews mit Kandidatinnen und Kandidaten setzen wir mit der FDP fort. Die Rundschau-Redakteure Roderich Trapp und Stefan Seitz sprachen mit Jessica Bremes, Alexandra Trachte und Marcel Hafke. Die 22-jährige Verwaltungsfachwirtin Jessica Bremes verkörpert den politischen Nachwuchs, die 42-jährige Industriekauffrau Alexandra Trachte ist Mitglied des Vorstandes der Wuppertaler FDP, der 40-jährige Marcel Hafke sitzt seit 2010 im NRW-Landtag, ist dort seit 2017 Mitglied des FDP-Fraktionsvorstandes sowie schon seit 2007 Vorsitzender der Wuppertaler FDP. Fotos: Simone Bahrmann
Jessica Bremes: „Durch die viel zu schlechte Versorgung Betroffener mit Kinder-, Jugend- und Erwachsenentherapeuten. Ich selbst, und damit gehe ich ganz offen um, leide an einer diagnostizierten Depression, darum weiß ich, wovon ich rede. Ich bekomme eine Menge Feedback von anderen Betroffenen, auch von sehr vielen jungen Leuten. Das Problem ist der Verteilungsschlüssel: Wenn es in einer Stadt 100 Therapeuten gibt, aber nur einer davon mit Kindern und Jugendlichen arbeitet, hat diese Stadt zwar 100 Therapeuten, aber eine immer größer werdende Betroffenengruppe muss mit riesigen Wartelisten kämpfen. Gerade während und nach der Corona-Zeit ist das zu einem sehr großen Problem geworden.“
Rundschau: Frau Trachte, Sie fordern auf Ihrer persönlichen Homepage das Recht, jeden Behördengang digital erledigen zu können ...
Alexandra Trachte: „Die Digitalisierung ist eines der großen Themen der Zukunft. Bürokratische Vorgänge müssen für Bürger mithilfe der Technik unbedingt einfacher und schneller werden, beispielsweise für Berufspendler, denen das Warten auf Termine nicht zumutbar ist. Außerdem muss der betulich laufende Glasfaserausbau beschleunigt werden. Zuerst muss überall, wo es möglich ist, die Datenleitungstechnik ertüchtigt werden, dann darf etwa bei allen Schul- und anderen Kommunalneubauten nur noch Glasfaser zum Einsatz kommen. Das Land NRW hat diesen Ausbau ja schon sehr stark vorangetrieben.“
Herr Hafke, für Ihre Corona-Politik hat FDP-Schulministerin Gebauer viel Kritik, auch vom Koalitionspartner CDU, einstecken müssen. Was sagen Sie dazu?
Marcel Hafke: „Ich bin zweifacher Vater und meine Frau ist Lehrerin, so habe ich das Thema Corona und Schule sehr direkt miterlebt. Es gab während dieser Phase nur die Wahl zwischen schlecht und schlecht. Das Land NRW hat in Sachen Schule die Pandemie gut gemeistert, indem auf möglichst viel Präsenzunterricht gesetzt wurde, um Bildungsverluste und soziale Benachteiligung zu verhindern. Die Kritik an zu kurzfristigen Mails des Ministeriums an die Schulen ist natürlich berechtigt, aber wir reden da über gerade einmal drei Mails von insgesamt 90. Da muss man die Zahlen auch einmal ins richtige Verhältnis stellen. Angesichts von Corona sind Schülern und Eltern sowie auch allen anderen Menschen viele Sorgen und Ängste aufgeladen worden, die natürlich zu vielen Frustrationen geführt haben. Die Politik muss allerdings in problematischen Zeiten auch unpopuläre Entscheidungen treffen, dafür bitte ich um Verständnis. Klar ist, dass wir in eine Situation wie während Corona nicht wieder zurückwollen und jetzt in NRW positiv nach vorn schauen.“
Rundschau: Frau Bremes, zwei Ihrer 22 Lebensjahre haben Sie unter Corona-Bedingungen verbracht. Welche Corona-Politik würden Sie sich für die Zukunft wünschen?
Jessica Bremes: „Schulen müssen unbedingt geöffnet bleiben, um jungen Leuten einen stabilen, geregelten Alltag vor allem auch mit regelmäßigem Sport zu bieten. Junge Leute werden leider oft aufs Party-Machen reduziert, es geht aber um den sozialen Kontakt, Begegnungen und vieles mehr, was während Corona fehlte. Schule und gemeinsamer Sport spielen da eine sehr große Rolle.“
Rundschau: Wer auf Wuppertal schaut, sieht eine Kommune unter großem finanziellen Druck. Darum steht immer das Thema Altschuldenfond auf der Debattentagesordnung ...
Marcel Hafke: „Mit dem ,Stärkungspakt Stadtfinanzen‘, für den die FDP wesentlicher Motor war, hat das Land finanzschwachen Kommunen schon viel geholfen. Und ein Altschuldenfonds würde auch nicht an der NRW-FDP scheitern. Da sind wir aber auf Landesebene eben nur Koalitionspartner der CDU, von der ich mir bei diesem Thema mehr Mut gewünscht hätte. Für mich steht aber fest, dass auch Wuppertal Eigenleistungen bringen muss, um aus den Schulden herauszukommen. Eine Vergemeinschaftung von Schulden beziehungsweise einen Schuldenschnitt, so dass dann andere die Schulden übernehmen, kann es nicht geben. Eine eventuelle Möglichkeit für die Zukunft wäre eine Verfassungsänderung, um das Anhäufen kommunaler Schulden zu verhindern. Landesaufgaben, die an Kommunen delegiert werden, sind gegenfinanziert, aber auch Berlin muss seinen Anteil leisten. Um für die Städte wieder Spielräume zu eröffnen, ist der ,Stärkungspakt‘ jedenfalls ein gutes Vorbild. Wichtig zu wissen: Seit 2017 hat die CDU-FDP-Landesregierung alle Pauschalen und Zuwendungen an die Städte um etwa ein Drittel pro Jahr erhöht. Ein Stadtkämmerer muss sich dann aber auch fragen lassen, ob seine Kommune die entsprechende wirtschaftliche Leistung als Eigenanteil ebenfalls erbracht hat.“
Rundschau: Wie ist Ihre Meinung zur Wuppertaler Bundesgartenschau?
Alexandra Trachte: „Das eine sind deren Kosten, das andere, dass Gastronomie, Hotels und viele andere Branchen davon stark profitieren werden. Wuppertal kann so etwas Attraktives durchaus gebrauchen.“
Jessica Bremes: „Sehr wichtig finde ich, dass damit eine Aufwertung und Belebung im Umfeld des Vohwinkeler Bahnhofes, der abends vor allem für Frauen sehr unangenehm ist, verbunden wäre. Ich bewerte die Bundesgartenschau als positiven Schritt und große Bereicherung.“
Marcel Hafke: „Planen sollte das Ganze allerdings jemand, der sich damit auskennt, und nicht die Stadtverwaltung oder die Kämmerei. Beispielsweise ist die Bergische Entwicklungsgesellschaft sehr gut dafür aufgestellt, Fördermittel zu generieren. Die BUGA ist aber auch die größte Chance für eine nachhaltige Stadtentwicklung.“
Wer jetzt FDP wählt, wählt für NRW was?
Marcel Hafke: „Eine Regierung mit der FDP. Wir haben fünf Jahre lang gut und fair mit der CDU kooperiert, gehen aber ohne Koalitionsaussage ins Rennen. Unser Ziel ist es, erneut drittstärkste Kraft zu werden. Und wenn es mathematisch reicht, darf es aus Sicht der FDP gerne mit der CDU zusammen weitergehen. Auch Wuppertal darf darauf vertrauen, dass es gute Politik für Wuppertal gibt, wenn die FDP stark ist.“
Rundschau: Wäre auch eine „Ampel“ wie in Berlin denkbar?
Marcel Hafke: „Wir werden einer Regierung beitreten, mit der wir möglichst viele FDP-Inhalte umsetzen können. Unser Bundesland steht für uns im Vordergrund.“
Rundschau: Wie erleben Sie den Wahlkampf unter dem Eindruck des großen Themas Ukraine-Krieg?
Alexandra Trachte: „Es ist nicht einfach, denn viele Menschen haben Angst. Ältere, die den Zweiten Weltkrieg und die Nachkriegszeit noch miterlebt haben sowie jüngere Leute ebenfalls. Alle machen sich Sorgen um die Zukunft.“
Jessica Bremes: „Ich habe meine Schwierigkeiten mit der Aussage, es herrsche seit 70 Jahren Frieden in Europa. Da wird so getan, als habe es den Jugoslawien-Krieg nie gegeben. Man merkt aber deutlich, dass den Menschen die demokratischen Werte Frieden, Freiheit, Gemeinschaft und Rechtsstaatlichkeit wieder mehr bedeuten.“
Geht es bei Ihren Wahlkampfterminen noch ums Klima? Auch dieses Thema scheint ja durch den Krieg in den Hintergrund gerückt zu sein.
Marcel Hafke: „Das Thema Klima ist keinesfalls weg! NRW steht dabei viermal besser da als das grün regierte Baden-Württemberg. Die FDP ist dafür, bei Strategien gegen den Klimawandel ohne Ideologie und Scheuklappen danach zu fragen, welche Technik uns unseren Zielen näherbringt. Das mag vielleicht nicht allen gefallen, aber zum Beispiel in Sachen Windkraft geht es doch nicht um die Zahl von Windrädern, sondern um deren Effektivität. Außerdem müssen die Bürger solche Anlagen auch akzeptieren. Und bei der Photovoltaik, die extrem stiefmütterlich behandelt wird, fänden wir es sinnvoll, die Menschen, die solche Anlagen auf ihren Dächern installieren, auch am Gewinn zu beteiligen. Da ist der grüne Wirtschafts- und Klimaschutzminister Habeck gefordert.“
Rundschau: Gibt es für Sie besondere Herzensangelegenheiten in Sachen der politischen Zukunft in Nordrhein-Westfalen?
Jessica Bremes: „Es sollte multifunktionale Teams aus Schulsozialarbeitern und Psychologen an wirklich allen Schulen geben.“
Alexandra Trachte: „Wir vergessen oft die Älteren, die mit wenig Geld und wenigen Freunden alleine zu Hause sind. Für diese Menschen würde ich gerne etwas tun, damit sie noch möglichst viele schöne Jahre zu Hause haben können.“
Marcel Hafke: „Meine Herzensthemen sind das Kinderschutzgesetz und die Beendigung des Fachkräftemangels in den Kitas. Ich möchte gerne daran mitarbeiten, die Reformen, die wir auf diesen Feldern schon angestoßen haben, auch zu einem erfolgreichen Ende zu bringen.“