Heckinghausen Eine Apotheke aus Bilderbüchern
Wuppertal · Lesen, trösten und stärken: Mit einer „Bilderbuchapotheke will die Lernwerkstatt der ökumenischen Flüchtlingsinitiative KOMM in Wuppertal-Heckinghausen die Integration geflüchteter Kinder fördern.
Eine kleine Motte, die lieber ein Schmetterling wäre, aber schließlich ihr Mottendasein akzeptiert. Ein kleiner Drache, der lernt, seine Wut in den Griff zu bekommen. Ein Spatz, der „Nein“ zu Mutproben sagt und damit ausgesprochen mutig ist: Maximilian liebt die neue „Bilderbuchapotheke“ der Pädagogischen Werkstatt Wuppertal-Ost. Mit Lesepatin Karin Mann zieht er sich gerne in die Bibliothek zurück, um ein paar Bücher zu lesen und sich vorlesen zu lassen.
Der achtjährige Junge, dessen Eltern nach Deutschland geflüchtet sind, gehört zu den Grundschulkindern, die regelmäßig in die Pädagogische Werkstatt nach Wuppertal-Heckinghausen kommen. Die Lernwerkstatt ist ein gemeinsames Bildungsprojekt der Flüchtlingsinitiative KOMM der evangelischen Kirchengemeinde Heckinghausen, des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF), des Kommunalen Integrationszentrums und der Stadt Wuppertal. Weil sie in einer ehemaligen Krawattenfabrik unterbracht ist, sprechen alle nur von der „Krawatte“.
Knapp 50 Ehrenamtliche bieten hier pro Woche für rund 150 Kinder und Jugendliche Spielenachmittage, Kunstprojekte, Hausaufgabenhilfe und Leseförderung an. Eine von ihnen ist Lesepatin Karin Mann.
Lese- und Beziehungsfähigkeit stärken
„Viele Kinder, die wir begleiten, stammen aus geflüchteten und armen Familien und brauchen nicht nur Leseförderung“, erklärt KOMM-Leiterin Dorothee van den Borre. „Sie haben den Verlust der Heimat und Ausgrenzung erlebt und reagieren mit Verhaltensauffälligkeiten und Entwicklungsverzögerungen. Sie brauchen Zuwendung, Trost und Ermutigung. Das wollen wir ihnen mit unserer neuen Bilderbuchapotheke geben.“
In diesen Büchern werden Themen aufgegriffen, mit denen die Kinder täglich zu tun haben und Wege aufgezeigt, wie sie damit umgehen können: Ausgrenzung und Mobbing, weil sie „anders“ sind und die deutsche Sprache noch nicht gut sprechen, Wut, weil sie sich einsam fühlen oder Rückzug in die Sprachlosigkeit, weil sie sich selbst nichts mehr zutrauen.
„Beim gemeinsamen Lesen der Bücher entsteht eine Beziehung. Vertrauen und Zutrauen wird gestärkt“, beobachtet Dorothee van den Borre. „Und genau diese Fähigkeiten sind nötig, damit sich geflüchtete Kinder in unsere Gesellschaft integrieren und zugehörig fühlen. Unser Projekt sehe ich daher auch als einen wichtigen Beitrag zur Prävention vor Radikalisierung und Gewalt.“
Bilderbuchapotheke für Grundschulen
Nicht nur in der Lernwerkstatt, sondern auch in den Grundschulen des Stadtteils soll die neue „Bilderbuchapotheke“ eingesetzt werden. Erste Erfahrungen haben die sieben Lesepatinnen und -paten seit Beginn des Schuljahres schon gesammelt. Und dabei festgestellt, wie wichtig die individuelle Leseförderung ist.
„Zunächst hat eine Lesepatin vier Kinder begleitet“, berichtet Lina Lee, Koordinatorin der Lernwerkstatt und Leiterin des neuen Leseprojekts. „Doch dabei konnten sie nicht so auf die Kinder eingehen, wie es nötig ist. Viele Kinder hatten Probleme, sich zu konzentrieren und zu öffnen.“
Nun werden weitere Lesepatinnen und -paten gesucht, damit eine Einzelbetreuung möglich wird. Doch selbst dabei reiche das Buch manchmal nicht aus, um ins Gespräch zu kommen und die Freude am Lesen zu entdecken, meint Lesepatin Carla Zenker. Sie hat deshalb zwei Marionetten gebastelt: einen Tiger und eine Schildkröte, die beiden Hauptfiguren des Bilderbuchs „Tiger-Tiger, ist es wahr?“
Dialog mit Tiger und Schildkröte
Darin wird die Geschichte eines kleinen Tigers erzählt, der sehr unglücklich ist, weil er glaubt, dass seine Eltern und seine Freunde ihn nicht mehr mögen. Eine alte, weise Schildkröte stellt ihm vier Fragen und macht ihm damit klar, dass nicht die Dinge selbst ihm Probleme bereiten, sondern das, was er darüber denkt. „Genau diese Fragen kann ich mit den Marionetten sehr viel direkter stellen“, ist Carla Zenker überzeugt.
Für den Fall, dass die Lesepatinnen dabei auf Traumata und größere psychische Probleme stoßen, gibt es Unterstützung durch eine Kinder- und Jugendpsychotherapeutin. Sie schult die Ehrenamtlichen und berät die Mitarbeitenden des Projekts, wo professionelle Hilfe angefragt und vermittelt werden kann.
Am 21. September soll die Bilderbuchapotheke auf einem großen Lesefestival in der Krawatte vorgestellt werden – in der Hoffnung, dass dann weitere Ehrenamtliche als Lesepatinnen und -paten gewonnen werden. Und noch einen Wunsch hat Projektleiterin Lina Lee: „Es wäre toll, wenn Kinder den Weg in die Krawatte finden, weil sie wie Maximilian spüren, dass ihnen das Lesen einfach guttut.“