Interview mit scheidendem OB Schneidewind: „Neues wird als Bedrohung gesehen“
Wuppertal · Wuppertals erster grüner Oberbürgermeister Uwe Schneidewind wird im Herbst kommenden Jahres nicht mehr zur Wahl antreten. Im Gespräch mit den Rundschau-Redakteuren Roderich Trapp und Stefan Seitz zieht er Bilanz, beschreibt seine Erfahrungen – und blickt auch voraus.
Rundschau: Ihre Ankündigung, nicht mehr als OB kandidieren zu wollen, ist gerade ein paar Tage alt. Wie geht es Ihnen jetzt?
Schneidewind: „Als die Nachricht heraus war, habe ich gemerkt, was da alles von mir abfällt. Ich war ja in den letzten Jahren mit einem System konfrontiert, das nur auf das Negative und die Schwächen schaut. Es ging fast nie darum, jemanden als ganzen Menschen zu sehen. Die Reaktion von Johannes Slawig auf meinen Rückzug möchte ich in diesem Zusammenhang ausdrücklich loben. Viele andere, mit denen ich zahlreiche Termine wahrgenommen oder oft beispielsweise in Konzerten gesessen habe, haben nicht den Hauch dieser menschlichen Größe bewiesen.“
Rundschau: Das klingt nach einer sehr unschönen Rathaus-Atmosphäre ...
Schneidewind: „Es gibt einen kompletten Widerspruch zwischen der Wahrnehmung außerhalb Wuppertals und innerhalb der Stadt. Draußen gibt es viel Begeisterung für die Wuppertaler Zukunftsentwicklung der letzten Jahre. Und es wird gefragt, was das für Leute sind, die ihren Oberbürgermeister so behandeln.
Ich frage mich, ob meinen Kritikern eigentlich klar ist, wie sehr sie selbst ihre Stadt beschädigen. Da sind so viele Menschen, von denen das Neue und Fremde, das ich mitgebracht habe, als Bedrohung gesehen wird. Damit sind explizit auch viele Mitglieder des Stadtrates gemeint. Folge dieser Abwehrhaltung sind dann zum Beispiel die Ablehnungen von überall längst selbstverständlichen Klima- und Mobilitätsmaßnahmen. Das ist natürlich frustrierend und in der Außenwirkung für die Stadt beschämend.“
Rundschau: Ist die Hoffnung darauf, mit Sachverstand von draußen etwas bewegen zu können, also nur ein Wunschtraum?
Schneidewind: „Ich jedenfalls würde nie mehr einen Oberbürgermeister oder eine Oberbürgermeisterin wählen, der oder die nicht in der Stadt geboren ist. Die Verwurzelung in der Stadt, das sozusagen automatische Sich-Auskennen, und dass man auf jeder Veranstaltung Menschen trifft, die man teilweise seit Jahrzehnten kennt, all das lässt sich für jemanden, der von außen kommt, kaum aufholen. Daraus ergeben sich dann Bewertungen wie „der mag zwar gut reden, aber er ist nicht bürgernah“.“
Rundschau: Apropos Veranstaltungen: Es ist immer wieder kritisiert worden, dass Sie bei vielen Vereinstreffen & Co. nicht mit von der Partie waren.
Schneidewind: „Ich brauche für eine erfolgreiche Gesprächsatmosphäre die positive Energie aus dem Raum. Die entsteht durch Authentizität. Deswegen habe ich beispielsweise Begegnungen bei der Feuerwehr oder beim WSV, wo ich nicht authentisch war, weniger wahrgenommen. Zu meinem Lernprozess gehört auch dies: Oberbürgermeister ist eine Rolle, die man permanent und professionell ausfüllen muss, selbst wenn man sich dabei nicht authentisch fühlt und nur seine Rolle spielt.“
Rundschau: Am 1. November 2020 haben Sie Ihr Amt angetreten. Was sehen Sie als Ihre Erfolge?
Schneidewind: „Dass das Projekt BUGA jetzt ganz vorne angesiedelt und wohl auch unumkehrbar ist. Außerdem bin ich stolz darauf, dass die Zusammensetzung des neuen Verwaltungsvorstandes nach harten Kämpfen hinter den Kulissen funktioniert hat, und die Stadtspitze jetzt aus Frauen und Männern besteht, die soziale Kompetenz, Pragmatismus, Führungsqualitäten und die Fähigkeit, mit komplexen Sachverhalten umzugehen, miteinander verbinden.
Mit diesem Team hätte ich total gern weiterhin zusammengearbeitet. Vor allem, wenn ab März bei Herrn Nocke und Frau Zeh, bei denen es ja noch um eine mögliche CDU-OB-Kandidatur geht, Klarheit herrscht und da Ruhe hineinkommt. Es ist wichtig, dass der Verwaltungsvorstand bis zur Kommunalwahl eine produktive Form der Zusammenarbeit etabliert hat. Und dies dann die Chance schafft, dass eine neue Oberbürgermeisterin oder Oberbürgermeister in dieses konstruktive Miteinander einschwingt.“
Rundschau: Es gab ja aber noch andere Themen, über die in der Stadt viel diskutiert wurde. Beispielsweise die Fußgängerzone vor dem Laurentiusplatz.
Schneidewind: „Ja. Außerdem die Schulen, die intensiven Gespräche mit der Kaufhof-Projektentwicklungsgesellschaft Coinel sowie der Einsatz für eine gute Zukunft des Schaeffler-Geländes. Hier habe ich, wie beim Thema BUGA, bewusst im Hintergrund agiert, um die jeweilige Sache nicht zu gefährden. Das hatte mit politischen und persönlichen Empfindlichkeiten mir gegenüber zu tun. Es ist zermürbend, hier nichts von vorne spielen zu können. „
Rundschau: Wie sieht das Fazit Ihrer Zeit als Oberbürgermeister aus?
Schneidewind: „Fünf intensive, lehrreiche Jahre. Es ist mir immer um diese Stadt gegangen. Ich möchte sie am 1. November 2025 besser übergeben, als ich sie übernommen habe. Wenn auch vieles, was ich angestoßen habe, erst in zehn Jahren fruchtet. Es schmerzt schon ein wenig, dass so überhaupt nicht gesehen wird, welche tieferen, strukturellen Veränderungen man auf Weg bringt.“
Rundschau: Waren Sie nicht gut genug auf das OB-Amt vorbereitet?
Schneidewind: „Ich würde heute vieles anders angehen. Beispielsweise ist eine ganz andere strategische Kommunikationsarbeit nötig, damit die Arbeit der Stadt von den Bürgerinnen und Bürgern gesehen und verstanden wird. Da hat sehr vieles gefehlt. Angesichts der stark segmentierten Stadtgesellschaft muss man eigentlich acht bis zehn Kommunikations-Kanäle regelmäßig und professionell bespielen.“
Rundschau: Was für eine Person müsste Ihr Nachfolger beziehungsweise Ihre Nachfolgerin sein?
Schneidewind: „Ein Mensch, der die Stadtgesellschaft wieder versöhnt und motiviert. Das verbunden mit strategischem Zukunftsblick und viel Gelassenheit. Es sollte jemand sein, der bei sich ist, sich aber nicht nur mit sich selbst beschäftigt. Und jemand mit der Stärke, dem Verwaltungsvorstand zu ermöglichen, sein Potenzial zu entfalten.
Rundschau: Vor Ihnen liegen noch zehn Monate. Was wollen Sie mit dieser Zeit anfangen? Befürchten Sie eine Rolle als „lame duck“, als „lahme Ente“?
Schneidewind: „Ich muss mich an keinem Wahlkampf mehr beteiligen. Das ist ein großer Vorteil und gibt mir die Gelassenheit, den Verwaltungsvorstand und andere im Sinne der Stadt zu unterstützen, ohne dabei auf die Wirkung auf meine Person achten zu müssen. Ich selbst werde keine strategischen Weichenstellungen mehr vornehmen können. Aber ich kann die, die solche Weichen stellen können, mit aller Kraft unterstützen. Das werde ich auch tun. Vor allem überall da, wo Wuppertal spannend ist.“
Rundschau: Verlockt Sie eine Position in der Bundespolitik?
Schneidewind: „Nein. Ich habe den Polit-Betrieb als toxisch erlebt. Alle, die mir raten, sagen: „Uwe, das ist nichts für dich, lass‘ es“. Worauf ich Lust habe, ist, das Erlebte intellektuell zu verarbeiten. In Büchern, Vorträgen oder in einer Beraterfunktion.“