Zwei Mediziner und ein Flüchtlingsjunge Wiedersehen in Wuppertal
Wuppertal · Johannes und Achim Stein helfen als Mediziner auf dem Mittelmeer. Sie lernen einen Jungen kennen, der ihnen nach Wuppertal folgt.
"Ich bete für Deutschland, für Johannes und Achim", sagt Kamal in der Flüchtlingsunterkunft in Barmen an einem ungemütlichen Februartag. Etwa acht Monate ist es her, dass Johannes und Achim Stein dem jungen Mann aus Togo ein Versprechen gegeben haben. "Wenn du es nach Deutschland schaffst, kümmern wir uns." Jetzt ist Kamal hier und die Familie löst ihr Versprechen ein.
Rückblick. Der Ramadan ist zu Ende und obwohl Johannes und Achim Stein es nicht für möglich gehalten haben, verlassen an diesem heißen Montag im Juni 2017 noch mehr Menschen als am Vortag die libysche Küste in, durch ihr Gewicht schwer im Wasser hängenden, Schlauchbooten.
Seit einer Woche sind Vater und Sohn an Bord des Rettungsschiffs. Das Erlebte zerrt an den Nerven. Die Bilder, die in den Medien zur Gewohnheit geworden sind, wirken hier auf See wie ein Hammerschlag. Die Boote, auf denen Menschen wie Vieh über das Mittelmeer treiben, sind um sie herum. Das Schiff der Hilfsorganisation "Sea-Eye" treibt buchstäblich mittendrin in der so genannten und so weit weg diskutierten Flüchtlingskrise. Ein winziger Punkt zwischen den unzählbaren Schicksalen, Menschen ohne Rettungswesten, die Europa, komme was wolle, nur irgendwie erreichen wollen. 156 Menschen befinden sich gerade auf ihrem Schiff, vielleicht wären sie sonst ertrunken, vielleicht wären sie irgendwann irgendwo in Europa aufgeschlagen.
Als Kamal an Bord gezogen wird, ist er nicht bei Bewusstsein. Er hyperventiliert, ist unterkühlt. Er besitzt nur die kurze Hose, die er am Körper trägt. Eine Woche verbringen die beiden Ärzte mit dem 16-Jährigen, dessen Leben für sie heute noch in Teilen ein Rätsel ist. "Er hat erzählt, dass er zwei Schwestern hat, seine Eltern sind gestorben", sagt Johannes Stein. In der Barmer Flüchtlingsunterkunft an jenem Februartag erzählt der Junge zum ersten Mal ausführlicher von Tagen in der Wüste, die er auf seinem Weg von Togo nach Ghana und Libyen auf Ladeflächen von Jeeps durchquert hat. Manche, sagt Kamal, kippten einfach so vom Auto in den Wüstensand, ohne dass sich jemand um sie scherte.
Die Kommunikation zu dem einsamen Jungen ist an Deck nicht leicht. Sein Schicksal aber rührt Vater und Sohn besonders: "Er war allein, minderjährig, besaß nichts. Und ging so in die Welt." Die Steins schreiben noch auf dem Schiff einen Zettel, den Kamal den italienischen Behörden zeigen kann. Sie geben ihm ihre Adresse, Telefonnummern und Email-Adressen. Es ist das erste Mal auf der Flucht, dass Kamal nicht mehr alleine ist. Sein vages Ziel Europa wird damals zu einem fixen Punkt. Er will nach Wuppertal.
Mit dem Zettel immer dicht am Körper schlägt Kamal sich durch die Tage im Lager in Pisa, weiter über die Ländergrenzen durch. Für den Fall, dass er die Adressen verlieren könnte, lernt er die Telefonnummern auswendig.
Bis er letztendlich Ende Oktober Deutschland erreicht und die Steins ihn in Empfang nehmen können. Achim Stein ist heute Kamals Vormund, also sein gesetzlicher Vertreter. Kamal lebt in der Flüchtlingsunterkunft, er hatte noch nie einen eigenen Raum, nur für sich. Am Wochenende unternimmt er etwas mit der Familie. Der Männertrip auf dem Mittelmeer hat Johannes und Achim Stein verändert, mit Kamal bleibt diese Reise lebendiger Teil ihres Lebens. Achim Stein sagt: "Und es ist uns eine Freude, dass Kamal hier ist und wir uns weiter einsetzen können."
Johannes und Achim Stein erzählen ihre Erlebnisse, um auf das Schicksal der Tausenden Menschen aufmerksam zu machen, die auch in diesen Tagen ihr Leben auf dem Mittelmeer riskieren. Die Einsätze werden mit Spenden finanziert. Ihre Hilfsorganisation hat bereits über 13.000 Menschen gerettet. Mehr Infos: sea-eye.org