Telefonseelsorge Sommer, Sonne, Traurigkeit

Wuppertal · Bei der Telefonseelsorge gibt es keine Sommerpause. Im Gegenteil. Das Bedürfnis nach einem Gespräch ist gerade jetzt groß, sagt Leiterin Jula Heckel-Korsten. Immer wieder geht es dabei um den Urlaub.

Jula Heckel-Korsten leitet die Telefonseelsorge ...

Foto: Sabine Damaschke

Urlaub in der Telefonseelsorge: Warum gibt es das nicht?

Heckel-Korsten: „Es ist wichtig, dass wir gerade dann da sind, wenn viele andere weg sind: Nachbarn, Freunde, aber auch Therapeuten machen jetzt Urlaub. Gruppen in Kirchengemeinden, Sport- und Kulturvereinen finden nicht statt. Das verstärkt bei denjenigen, die zuhause bleiben, die Einsamkeit. Für viele ist es nur schwer auszuhalten, dass sie in der schönsten Zeit des Jahres, wenn andere aus dem Alltag rausgehen, reisen, etwas anderes sehen und erleben können, zurückbleiben. Da gibt es viel Enttäuschung, Wut, aber auch Angst.“

Sprechen die Menschen das Thema Urlaub direkt an?

Heckel-Korsten: „Ja, es spielt in Gesprächen immer wieder eine Rolle. Nach den Einschränkungen der Coronazeit ist die Sehnsucht nach Urlaub besonders groß, aber es gibt viele, die ihn sich angesichts der gestiegenen Preise in der Inflation schlichtweg nicht leisten können.

Die Zumutungen der Armut sind immer öfter Thema in unseren Gesprächen. Wenn Nachbarn mit dem Wohnwagen unterwegs sind oder auf die Malediven fliegen, wenn alle über den Urlaub reden und sich darauf freuen, wird vielen noch mal richtig bewusst, wie sehr sie sparen müssen. Das frustriert und macht auch wütend.“

Gegen die Armut können Sie als Telefonseelsorgerin nicht viel tun. Wie helfen Sie?

Heckel-Korsten: „Wir hören zu und nehmen die Menschen mit all ihren Gefühlen, die gerade da sind, ernst. Vielen tut es gut, darüber reden zu können, was es bedeutet, wenn am 15. des Monats kein Geld mehr da ist. Das Thema Armut ist schambesetzt und wird meist eher versteckt als offen angesprochen. Wir kommen nicht mit irgendwelchen gut gemeinten Tipps, sondern überlegen gemeinsam mit den Anruferinnen und Anrufer, was ihnen in ihrer jetzigen Situation helfen kann.

Dabei fragen wir in der Seelsorge auch nach positiven Erlebnissen im Leben, nach Kleinigkeiten, die Freude gemacht haben und die nicht viel kosten. Das kann zum Beispiel die günstige Eispackung sein, die sich jemand portionsweise über eine längere Zeit einteilt und mit Genuss einen Eiskaffee daraus macht.“

... und ist auch selbst am Telefon.

Foto: Sabine Damaschke

Eigentlich müsste der Sonnenschein doch schon die Stimmung heben. Warum ist das nicht so?

Heckel-Korsten: „Die Diskrepanz zwischen der Außen- und Innenwelt ist jetzt bei Menschen, die Krisen durchmachen, mit Depressionen und Ängsten zu tun haben, besonders hoch. Wenn die Welt draußen unbeschwert, bunt und leicht erscheint, fällt es besonders auf, wenn man diese Leichtigkeit und Lebensfreude für das eigene Leben nicht so empfinden kann. Statt daran teilzunehmen und rauszugehen in den Park, den Wald oder das Schwimmbad, ziehen Menschen sich zurück in die eigenen vier Wände.

Wir haben häufiger Leute am Telefon, die uns erzählen, dass sie ihr Haus nicht verlassen können. Gemeinsam überlegen wir dann zum Beispiel, welche kleine Schritte nach draußen möglich wären: mit einer Tasse Kaffee auf den Balkon oder in den Garten gehen, Milch kaufen, einen kleinen Spaziergang ums Haus machen. Der Urlaub weckt auch Ängste, die mit Enttäuschungen und Scham zu tun haben.“

An einen Urlaub sind oft überhöhte Erwartungen geknüpft. Sprechen Sie in der Telefonseelsorge auch darüber?

Heckel-Korsten: „Ja, das ist ein Thema. Weil mit dem Urlaub so viel Sehnsucht nach Leichtigkeit und einem Leben ohne Probleme verbunden sind, weckt er auch Ängste, die mit Enttäuschungen und Scham zu tun haben. Da gab es die Gruppenreise, auf der Ausgrenzung statt Gemeinschaft erlebt wurde. Oder den Urlaub, in dem ständig mit dem Sohn oder Partner gestritten wurde. Die schönste Zeit des Jahres war gar nicht so schön wie erwartet.

Wenn die Anruferinnen und Anrufer es wollen, schauen wir mit ihnen genauer auf ihre Erwartungen und Enttäuschungen. Wir denken mit ihnen darüber nach, was sie für einen entspannten Urlaub brauchen und welche Schritte dafür nötig und möglich sind.“