Gesunde Großstädte von morgen — so könnte ein Wuppertal der Zukunft aussehen

Wuppertal · Hin und wieder überkommt viele von uns ein mulmiges Gefühl, wenn es darum geht, an die Zukunft der Städte und deren Bürger zu denken: Klimaerwärmung, demographischer Wandel, Informationsüberflut, Herausforderungen des Kosmopolitismus — all diese Themen können Angst machen und die Hoffnung ersticken, dass Großstädte ihren Bürgern in Zukunft die Grundlage bieten können, wohl und gesund zu leben.

Die Einbindung möglichst vieler Grünflächen in moderne Wohnprojekte soll zur Gesundheit der Großstädte der Zukunft beitragen.

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Allerdings gibt es dafür eigentlich keinen Grund.

Denn technischer Fortschritt und aktuelle gesellschaftliche, wie soziale Entwicklungen zeigen auch, dass Großstädte, wie beispielsweise auch Wuppertal, sich mitunter ins Positive entwickeln können. Denn auch Stadtstruktur und Architektur können die Gesundheit der Einwohner fördern. Im Folgenden soll das potenzielle gesunde Bild einer zukünftigen Großstadt wie Wuppertal entworfen werden.

Zwar fühlen sich immer mehr Leute in der modernen, hektischen und durchdigitalisierten Zeit motiviert, wieder aufs Land zu ziehen oder zumindest regelmäßige Auszeiten aus dem Alltag im Stadtdschungel zu nehmen, die Zukunft des Zusammenlebens heißt allerdings deutlicher denn je: Großstadt. Bereits zu Beginn des 21. Jahrhunderts lebt mehr als 50% der Weltbevölkerung in Städten; glaubt man diversen Prognosen, könnten es 2030 schon ganze 70% sein. Zwar verliert der Urbanisierungsprozess im Westen ein wenig an Tempo, in Schwellenländern jedoch wachsen Städte rasant zu Millionenmetropolen heran. Doch selbst wenn die Wuppertaler Bevölkerungszahl demographisch bedingt zukünftig wieder etwas zurückgehen und unter die 350.000-Marke fallen sollte, wird sich die Stadtstruktur dennoch ändern.

Konkret heißt das: Konzentriert man sich auf die positiven Trends von Großstädten, könnte auch Wuppertal in Zukunft immer "grüner" werden. Denn ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass sich die städtischen Verhältnisse in Bezug auf die Umwelt stetig verbessern. Anfang des 19. Jahrhunderts dominierten miserable Wohnverhältnisse, rauchende Schornsteine und eine überlastete Kanalisation das Stadtbild. Und noch vor 50 Jahren mussten die Menschen im gesamten Ruhrgebiet mit vergifteten Flüssen und verseuchter Luft kämpfen. Heute dagegen steht das Ruhrgebiet für eine wichtige Grünverbindung — es finden sich hier zahlreiche Parks und Wälder und ein gut ausgebautes Radwegenetz.

Dennoch sind Städte ein echter Hotspot für chronische Krankheiten, die bei Städtern von Fettleibigkeit und Diabetes, bis hin zu Burnout und Depressionen reichen. Um die Lebensqualität in der Großstadt der Zukunft zu verbessern, wird die Wirtschaft also auf ganz bestimmte Entwicklungen setzen müssen. Doch welche Entwicklungen sind das genau?

In der Studie "Quality of Living Survey" des Beratungsunternehmens Mercer lässt sich jedes Jahr nachlesen, wie die Lebensqualität mehrerer hundert Städte weltweit ist. Auf Platz 7 dieses Rankings stand letztes Jahr Frankfurt — wer hätte das gedacht und woran könnte es liegen, dass es sich in einer vermeintlich extrem hektischen Banken- und Businessstadt so gut lebt?

Ganz einfach: Frankfurt vereint politische, rechtliche und soziale Stabilität, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, gute Bildungsangebote, Gesundheitsstandards, Kultur- und Freizeitmöglichkeiten, Konsum- und Dienstleistungsangebote, eine gute Wohnsituation und positive Umweltfaktoren. Hinzu kommt — und das scheint ganz entscheidend zu sein — eine gute Infrastruktur. Das klingt nun alles nach einer ganzen Menge Voraussetzungen, die für ein gesundes Leben gegeben sein müssen, wichtig ist aber vor allem eine Abdeckung in allen Bereichen. Ohne Erholungsmöglichkeiten geht es Bürgern genauso schlecht, wie ohne eine gute Wohnsituation.

Car- und Bikesharing sind inzwischen schon Standard in vielen Großstädten wie Wuppertal. Dennoch sollten diese Trends weiter etabliert werden.

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Um eine Sache allerdings scheinen Großstädte, wie bereits angedeutet, gar nicht herumzukommen: Die Infrastruktur. Denn selbst wenn nicht alle Städte in Hinblick auf die Einwohnerzahlen wachsen, sind beispielsweise Mehrfachjobs keine Seltenheit mehr, die Flexibilität und Mobilität erfordern. Trends der Zukunft lauten hier etwa ein Ausbau des nachhaltigen Carsharings in allen Gesellschafts- und Altersschichten, das bislang zwar schon vor allem in Städten, aber insbesondere von jungen Leuten genutzt wird sowie eine stärkere Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Frankfurt beispielsweise kann es nur wegen seiner guten Infrastruktur auf einen derart hohen Platz im Ranking schaffen.

Dass die angesprochenen Faktoren aber noch ein allgemeiner, ganz entscheidender weiterer Faktor vereint, der die Gesundheit und Zufriedenheit von Städtern ganz besonders beeinflusst, zeigt die Stadt Hongkong. Im "City Infrastructure Ranking" liegt sie ganz weit vorne, beim "Quality of Living Survey"-Ranking dagegen 63 Plätze hinter Frankfurt, also auf Platz 70. Der Grund dafür ist so einfach, wie kompliziert — er lautet: sozialer Stress.

Es ist fest damit zu rechnen, dass die Begrünung von Großstädten wie Wuppertal weiter zunehmen wird — moderne Bauprojekte richten sich immer mehr auf bepflanzte Areale, grüne Dachterrassen & Co ein. Seit 2016 müssen Mietern und Käufern die Energieausweise bereits bei Wohnungs- und Hausbesichtigung vorlegen — andernfalls drohen Strafen — und immer mehr der Interessenten achten auch genau auf gute bis sehr gute Werte. Wie erwähnt wird sich außerdem die Infrastruktur vermutlich verbessern und auch die Einstellung zum Konsum scheint sich, alleine was die mediale Aufmerksamkeit und diverse Diskursdebatten angeht, zu ändern. Immer mehr Menschen leben vegetarisch, vegan, kaufen in Unverpackt-Läden ein und achten darauf, weniger Müll zu produzieren. Und dennoch ist der soziale Stress bei vielen Städtern enorm. Eine grüne Ausrichtung und Gesinnung der Stadt sowie Erholungsräume und Bepflanzungen mögen zwar vielleicht beim Abbau von individuellem Stress, gerade den Bürgern in dichter besiedelten Gebieten aber nicht wirklich helfen.

Für die psychische Gesundheit der Bürger der Zukunftsstadt wird also etwa auch Wuppertal einiges tun müssen. Die Methoden mit dem meisten Potenzial lauten: Die Form der urbanen Dichte ändern und Privatsphäre und Gemeinschaftsleben neu gestaltbar machen.

Auch das Teilen von Wohnbereichen, in denen soziale Interaktion stattfinden kann, trägt vor allem zur psychischen Gesundheit von Städtern bei.

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Ganz konkret kristallisiert sich dieses Konzept zum Beispiel im Moriyama House, das zu den Minihäusern Tokios gehört, heraus. Das Haus bietet zum einen Begegnungsräume für soziale Interaktion, die der Einsamkeit, an der viele Großstädter leiden, bewusst entgegenwirken soll sowie individuelle Rückzugsmöglichkeiten zu Erholung. Mit der Ausrichtung der einzelnen Gebäudeteile hat außerdem jeder Bewohner die Möglichkeit, aus einem riesigen Fenster in die Gärten und die Umgebung zu schauen, ohne sich dabei von den Blicken der anderen gestört fühlen zu müssen. Gemeinschaftlich genutzte Bereiche, wie Küche und Bäder, sorgen dafür, dass das Haus auf kleinstem Raum größtmögliche Lebensstandards setzen kann — es zwingt zu keinem bestimmten Lebensstil und bietet jederzeit Raum für soziale Integration.

Weiterhin wird es üblicher werden (müssen), Ressourcen gemeinschaftlich zu nutzen, statt sie zu besitzen. Einzelne Alltagshelden leben den Trend bereits vor — so auch der 77-Jährige Klaus-Georg Becher, der gespendete und von ehrenamtlichen Schraubern reparierte Fahrräder am Wuppertaler Bahnhof Mirke verleiht. Auf derlei engagierte Bürger wird das Wuppertal der Zukunft weiterhin angewiesen sein. Und dazu muss auch in der Einstellung der Bürger, die bislang noch auf eher konservative Weise gelebt haben. Ein Wandel stattfinden: Jung und Alt müssen nicht nur nebeneinander her leben, sondern vor allem auch miteinander leben können. Solange es keine Freiräume in Wohnanlagen gibt, in der soziale Interaktion fast schon wie von alleine abläuft und auf positive Weise stattfindet und solange es üblich ist, die eigene Küche, das eigene Bad und den eigenen Garten für sich zu beanspruchen, ist die gesunde Entwicklung einer Stadt deshalb von gesunden Entscheidungen jedes Einzelnen abhängig. Mit Fahrrad-, Car- und Foodsharing, ehrenamtlicher Betätigung und dem Achten auf Nachhaltigkeit im Alltag ist zumindest schon einmal eine aussichtsreiche Grundlage gegeben.