„Bergische Transfergeschichten“ Die Uni und die Luft- und Raumfahrt
Wuppertal · „Die Unternehmen hier müssen selbstbewusster werden und auch mit größeren Partnern überregional zusammenarbeiten“, sagt Prof. Dr.-Ing. Kai-Dietrich Wolf, der seit 2009 die Geschicke des Instituts für Sicherungssysteme (ISS) der Bergischen Universität am Standort Velbert leitet. In den „Bergischen Transfergeschichten“ berichtet er von seiner Arbeit und einer neuen Kooperation mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt.
Als Kai-Dietrich Wolf vor elf Jahren nach Wuppertal kam, haben ihn vor allem die Unternehmenskontakte interessiert. „Wuppertal ist durchaus bekannt für Sicherheit, für den Fachbereich Sicherheitstechnik, und hat eine gute Reputation. Das Bergische Land ist eine interessante Region, der Maschinenbau hat hier eine lange Tradition“, erklärt er, denn „es ist gar nicht so einfach für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sich mit einem Thema Unternehmenskontakte und damit ein Netzwerk aufzubauen. Das fand ich besonders attraktiv.“
Seitdem unterrichtet er im Fach Mechatronik Studierende und führt gleichzeitig das Velberter Institut, zu dessen gegenwärtigen Forschungsschwerpunkten die Grundlagen der quantitativen Sicherheitsanalyse (Security) und die Anwendung innovativer Technologien für moderne Systeme zur Zugangskontrolle gehören. „Wir machen Grundlagenforschung aus dem, was an Wissen hier existiert und sich in Jahrzehnten im Bereich Sicherungssysteme aufgebaut hat.“ Wolf nutzt da die lange Tradition der Region, die zum Beispiel im Bereich Schlösser und Beschläge über eine Menge Sicherheitswissen verfügt. Zu den Forschungsinhalten des Instituts gehört unter anderem die Vorhersehbarkeit veränderter Sicherheitsbedürfnisse, also keine Kristallkugelweisheit, sondern Verständnis für die Entwicklung der Anforderungen an sich verändernde Sicherungssysteme. „Es gibt gesellschaftliche Veränderungsprozesse und technologische Entwicklungen. Wenn man die Mechanismen der Sicherheit verstanden hat und weiß, was die Sicherheit eigentlich ausmacht – also Schutz im weitesten Sinne in Form von Türen, Toren, Beschlägen, Zäunen und Geländesicherung oder Überwachungseinrichtungen wie Videokameras – kann man auch nachvollziehen, wie sich die Anforderungen an die Technologien ändern.“
Und da sei ein besonderer Paradigmenwechsel zu beobachten, gibt der gebürtige Wiesbadener zu bedenken, denn über die Zeit habe man gesehen, dass zum Beispiel der Einsatz von Drohnen neue Denkmuster verlange, da alle bisherigen Sicherungssysteme bodengebunden gewesen seien. „Sie haben Zäune, und Barrieren, um Eindringlinge abzuhalten und mit der Drohne können sie einfach drüber fliegen.“ Wolf beschäftigt sich in diesem Zusammenhang auch mit dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz, gibt aber unumwunden zu: „KI ist immer auf Lernen angewiesen, also Trial-and-Error (Versuch und Irrtum, Anm.d.Red.). Das funktioniert im Sicherheitsbereich nicht. Wenn Sie Fehler machen, dann sind Sie weg vom Fenster. Die Evidenz, die man in anderen Bereichen hat, gibt es bei uns nicht.“
Sicherheitsstandards über Metriken
Ein Forschungsergebnis und Alleinstellungsmerkmal des Instituts ist eine sogenannte Sicherheitsmetrik für physische Sicherheit. Anders als im Trial-and-Error-Bereich können Metriken zielsichere Informationen liefern. „Ich kann mir über Metriken zum Beispiel eine Zahl herleiten, die mir die Sicherheit, in Form einer Risikobemessung oder Risikoreduzierung, einer Infrastruktur wiedergibt“, erläutert der Wissenschaftler. Diese sollten darüber hinaus auch objektiv und reproduzierbar sein, also idealerweise jedes Mal zum gleichen Ergebnis führen. Über Metriken könne man Risiken gegeneinander abwägen. Gerade im Safety-Security-Bereich gebe es widersprüchliche Anforderungen, betont Wolf. Bestes Beispiel für die Risikoabwägung sei die gegenwärtige Pandemie, wo es die Konsequenzen zwischen dem absoluten Lockdown und den daraus resultierenden wirtschaftlichen Konsequenzen zu bedenken gelte. Diese Abwägung ist nicht einfach. Auch Stromnetzbetreibern könne man in der Risikobetrachtung durch Metriken, etwa bei Netzausfall oder einer Bedrohung der Stromnetze, helfen.
Mit dem Wissen aus der Region
Mit dem Mut, auch auf der nationalen und internationalen Bühne selbstbewusst aufzutreten, baut Wolf eine beeindruckende Kooperation mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) auf. „Es geht dabei um ein neues DLR Institut für den Schutz terrestrischer Infrastrukturen“, erzählt er begeistert, „es geht zum Beispiel um kritische Infrastrukturen wie Stromnetze, IT-Netze, Wasserversorgung, Verkehrsinfrastrukturen und Flughäfen. Man hat sich vorgenommen, die Resilienz dieser Infrastrukturen zu bewerten, damit man quasi echtzeitfähig den Sicherheitsverlauf einer kritischen Infrastruktur abbilden kann.“
Hier kommt ihm die über zehnjährige Erfahrung aus der Grundlagenforschung zugute. „Man ist aufgrund der Veröffentlichungen auf uns zugekommen und möchte auf diesen Grundlagen aufbauen.“ Besonders stolz ist der 52-Jährige darauf, dass sein erster Doktorand, Dr. Daniel Lichte, die Leitung der dortigen Grundlagenabteilung übernehmen soll und betont noch einmal den Erfolg, der auf der Arbeit in der Bergischen Region fußt. „Unsere Grundlagen sind die Basis für das, was da passiert. Die haben wir geschaffen! Wir haben das Wissen aus der Region genommen und daraus Grundlagenforschung gemacht, es also in eine wissenschaftlich verwertbare Form gebracht. Das wird jetzt angewandt, das wird weiterentwickelt und das finde ich sehr spannend.“
Viele zukünftige Möglichkeiten in der Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft können sich aus diesem Projekt noch ergeben, daher sieht Wolf darin auch ein starkes Signal für die Bergischen Unternehmen und wird nicht müde, diese auch zu motivieren. Der Wissenschaftler plädiert für satte Investitionen in gemeinsame Innovation. Der Paradigmenwechsel hin zur Digitalisierung lasse geringe Investitionen nicht mehr zu und fordere neue Wege. „Hier sind ja Unternehmen, die haben mitunter 4.000 bis 6.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Produkte im digitalen Bereich“, weiß er, „an dieser Stelle braucht es mehr Selbstbewusstsein. Wir hätten gerne alle, dass die Welt kommt und sagt, wie toll ist es im Bergischen Land. Das wird aber nicht passieren. Aber das, was wir haben, ist ja gut! Dann muss man sich mit größeren Partnern zusammentun und schauen, was man noch lernen kann.“
Warum Menschen neue Technologien als Bedrohung empfinden
Neue Technologien bringen auch bisher unbekannte Sicherheitsrisiken mit sich. Die drahtlose Authentifizierung ist eine davon. Die Bevölkerung kennt sie vom Bezahlen mit EC-Karten oder Chipkarten. Viele sind zögerlich, diese neuen Entwicklungen anzunehmen, und das liege nach Wolfs Einschätzung an der Tatsache, dass die Menschen mit den neuen Bedrohungen nicht vertraut seien. „Handtaschendiebstahl, Brieftaschendiebstahl, das kennen wir. Wenn Sie einen herkömmlichen Schlüssel heute auf den Tisch legen und machen zum Beispiel mit dem Handy ein Foto davon, dann können Spezialistinnen und Spezialisten den direkt nachmachen – davor haben wir aber offenbar wenig Angst. Ein moderner Autoschlüssel, den man nicht mehr ins Zündschloss stecken muss, kann ohne Probleme mit einem Laptop angezapft werden, um das Funksignal zu verlängern. So kann jemand anderes mit ihrem Wagen wegfahren. Das wird dann in den Nachrichten gezeigt und verunsichert die Menschen.“
Für die Bergische Wirtschaft sieht Wolf ein verborgenes Potenzial: „Die Frage ist hier, wie kann ich die Systeme so auswerten, dass sie den privaten Datenschutz gewähren? Das kann ein Alleinstellungsmerkmal werden, was wir erreichen können, das ist eine europäische, das ist eine deutsche Perspektive und auch eine Perspektive für die Unternehmen in der Region.“ Der große Vorzug bestehe in der vorhandenen Erfahrung mit diesen Systemen, und da solle man sich positionieren, denn, so fährt er fort, „das ist ein Zukunftsthema für die Unternehmen: Die Datenschutzrechte der Nutzerinnen und Nutzer berücksichtigen!“
Regionale Plattform für bergische Unternehmen
Die Frage des Datenschutzes stellt sich auch beim Thema Sharing Economy: Das Wirtschaftsmodell, das Firmen oder Privatleuten eine geteilte Nutzung von Räumen, Fahrzeugen und anderen Ressourcen ermöglicht, wird durch die Weitergabe von Berechtigungen an Dritte über das Smartphone erst möglich. „Wir sehen das ja bereits im Einsatz der allgegenwärtigen Elektroroller in unseren Städten. Aber wie ist es hier mit dem Datenschutz?" Eine gemeinsame Plattform könnte in Bezug auf diese neuen Technologien auch den Bergischen Unternehmen für ihre Anschlussfähigkeit nützlich sein.
Doch der Weg ist weit. „Es muss das Bewusstsein für die Herausforderungen des Datenschutzes und der Datenhoheit der Nutzerinnen und Nutzer bei allen Beteiligten da sein – nicht zuletzt auch bei den Fördergeldgeberinnen und -geldgeber. Daran hakt es noch“, bedauert Wolf, „aber wir brauchen diese Plattformen für den digitalen Datenaustausch auch im Bereich Industrie 4.0 – es gibt bereits nationale und europäische Initiativen in dieser Richtung. Man muss sich mit den Großen zusammentun und möglichst vielen Unternehmen die Chance geben, daran zu partizipieren und neue datenbasierte Geschäftsmodelle zu entwickeln. Wir brauchen europäische, deutsche Standpunkte. Das sind wichtige Beschäftigungsfelder für die Unternehmen in der Region. Und da muss man andocken!“