Interview: Die aktuelle Situation bei der Wuppertaler Tafel "Die Armut vor der Tür"

Wuppertal · Soeben lief das Benefiz-Festival "Wuppertal hilft!" für die Tafel. Der endgültige Erlös steht noch nicht fest. Aber keine Frage: Die Tafel wird gebraucht in der Stadt. Mehr denn je. Rundschau-Redakteur Stefan Seitz sprach mit Tafel-Chef Wolfgang Nielsen.

Wolfgang Nielsen leitet die seit 1995 bestehende Wuppertaler Tafel — und sagt für „Wuppertal hilft!“ nochmals ganz herzlich „Danke“.

Foto: Raina Seinsche

Gerade ist der bundesdeutsche Armutsbericht veröffentlicht worden. Wie erleben Sie gesellschaftliche Missverhältnisse?

Nielsen: Wir haben jeden Tag mit der Wirklichkeit hinter den Statistiken zu kämpfen, sehen und erleben die Armut vor der Tür. Täglich besuchen uns in unseren vier Tafelläden jeweils 80 bis 100 Menschen. Zusätzlich fahren wir noch mit dem Sozialmobil an vier Stellen vor Ort.

Spüren Sie einen Nachfragezuwachs durch Flüchtlinge?

Nielsen: Bei der Essensausgabe sind die Zahlen bis zuletzt eigentlich stets konstant geblieben. Vielleicht mal mit einem Plus von zehn Prozent. Anders sieht das im "Kaufhaus der kleinen Preise" aus, wo Hausrat, Möbel und Kleidung zu bekommen sind. Hier werden die Flüchtlinge als neue Bürger, die etwas brauchen, klar zählbar. Wir haben in sehr kurzer Zeit 1.000 neue Tafel-Ausweise für Flüchtlinge ausgestellt und öffnen das Haupthaus in Barmen jetzt jeden Wochentag.

Wie ist die Tafel personell aufgestellt?

Nielsen: Wenn man alle Voll- und Teilzeitbeschäftigten, Euro-Jobber, Sozialarbeiter und Bundesfreiwilligendienstler zählt, kommen wir auf 82 Leute. Außerdem sind zwischen 800 und 900 Leute pro Jahr bei uns, die von Gerichten zu Sozialstunden verurteilt werden. Ganz, ganz wichtig sind jedoch auch unsere 250 ehrenamtlichen Helfer. Hier zeigt Wuppertal mit seiner langen Geschichte der Armenfürsorge ein ganz großartiges Gesicht.

Was bringt die Tafel den Menschen, die für die Tafel aktiv sind?

Nielsen: Den Blick auf ein Wuppertal, das sie so oft noch nie gesehen haben. Sie lernen, wie man Menschen anspricht, sie lernen, wie soziales Verhalten funktioniert. Auch in Problemsituationen. Wer einmal erlebt hat, wie es ist, wenn Menschen wegen Hunger nach Essen anstehen, der denkt anders über seine Stadt.

Hat sich die Stimmung bei den Ausgabestellen verändert?

Nielsen: Das kommt darauf an, wie man die Menschen anspricht. Ja, beim Thema Essen gibt es schon mal mehr Aggressivität. In den Tafelläden nicht. Und wenn eine ältere Frau Angst hat wegen ihrer Meinung nach zu vielen Flüchtlingen bei der Essensverteilung, dann bekommen wir das mit Ruhe und Zuhören auch in den Griff. Und es bleibt dabei: Wir prüfen weiterhin in der Kantine und am Sozialmobil keine Bedürftigkeit.

Wie blicken Sie in die Zukunft?

Nielsen: Wir sind gut aufgestellt. Dank der großen Unterstützung vieler Wuppertaler Bürger und Sponsoren haben wir genug zu verteilen. Das ist aber auch nötig, denn wir rechnen in Zukunft mit noch mehr Bedürftigen. Mein Herzenswunsch ist stets, dass noch mehr Menschen Mitglied bei uns werden. Denn damit tut man wirklich etwas für seine Stadt.