Bergische Uni „Menschenrechte müssten auch das kirchliche Recht fundieren“

Wuppertal · Der Austausch darüber mit seinen Studierenden ist dem katholischen Theologen Prof. Dr. Michael Böhnke besonders wichtig. Und auch seine Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmer empfinden die offenen Gespräche als befreiend, so die Rückmeldungen. In den „Bergischen Transfergeschichten“ redet der Wuppertaler Wissenschaftler über Meinungsfreiheit in der Katholischen Kirche, Wertschätzung der Geschlechter und Sorgen angehender Lehrkräfte.

Prof. Dr. Michael Böhnke.

Foto: Bergische Uni

Für die Kommunikation des Evangeliums und um sich ein eigenes Urteil in aktuellen Kirchendebatten bilden zu können, sei es unerlässlich, die Entwicklung der Menschenrechte und die aktuelle Menschenrechtspraxis der Kirche zu kennen, kritisch zu erforschen und zu diskutieren. Michael Böhnke leitet mit der Fachgruppe Systematische Theologie eine der insgesamt vier Disziplingruppen in der Katholischen Theologie der Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften an der Bergischen Universität Wuppertal.

Zu den Inhalten seines Lehrstuhls gehören die Religionsphilosophie, die Fundamentaltheologie, die Dogmatik, die theologische Ethik sowie die christlichen Sozialwissenschaften und manchmal auch das Kirchenrecht. „Systematische Theologie ist, und das mag verwundern, eine praktische Wissenschaft“, erklärt der gebürtige Ratinger. „Untersuchungsgegenstand von Fundamentaltheologie und Dogmatik ist die Praxis des christlichen Glaubens. Systematisch arbeitende Theologinnen und Theologen studieren und erforschen diese Praxis, die von der Kirche, was die Inhalte angeht, einerseits normiert ist, aber andererseits auch von dem Glaubensakt der Einzelnen geprägt wird.“

Damit wolle er mit seinen Studierenden – einem Zitat von Ernst Lange, Nachfolger Dietrich Bonhoeffers, folgend – „die Kommunikation des Evangeliums“ kritisch begleiten. „Wir wollen ihr zuverlässige Wege eröffnen und wollen natürlich auf wissenschaftlicher Grundlage der christlichen Glaubenspraxis neue Möglichkeiten der Verständigung über sich selbst zuspielen.“

2017 organisiert Böhnke mit anderen Akteuren ein internationales Fachgespräch zum Thema „Menschenrechte in der Katholischen Kirche“ im Deutschen Historischen Institut in Rom, gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). „Der universale Anspruch der Menschenrechte, überall und uneingeschränkt gelten zu wollen“, sagt er, „stellte dabei eine Herausforderung an die Ekklesiologie, an die Lehre der Kirche, die auch das Katholische Kirchenrecht betrifft, dar. Zwar setzt sich die Kirche und setzen sich innerkirchliche Gruppierungen wie etwa Misereor oder Adveniat oft mit Nachdruck für die Achtung und Durchsetzung der Menschenrechte zum Beispiel in Flüchtlingsfragen ein“, fährt er fort, „aber das Kirchenrecht selbst trägt bis heute nur sehr eingeschränkt zur Anerkennung und Durchsetzung der Menschenrechte bei. Und hier sehe ich einen großen Nachholbedarf. Die Menschenrechte müssten genauso wie das staatliche Recht, das kirchliche Recht fundieren“, denn sie fungieren gleichermaßen als Grundlage für staatliches Recht und Kirchenrecht.

Die Katholische Kirche hat ein Demokratiedefizit

Ein Widerspruch an sich scheint die Tatsache zu sein, dass die Katholische Kirche gerade in Ländern Lateinamerikas sowohl Diktaturen unterstützt als auch die Menschenrechte verteidigt. „Aus menschenrechtlicher Perspektive würde ich sagen, hat die Katholische Kirche sicher ein Demokratiedefizit. Das Thema Gewaltenteilung, das für ein friedliches Zusammenleben der Menschen doch so wichtig ist, wird bislang theologisch kaum adäquat wissenschaftlich bearbeitet. Das sehen wir auch an der Kirche hier in Deutschland.“ Hier müsse der theologische Diskurs den Päpsten und dem kirchlichen Lehramt Wege aufzeigen, die aus diesen Ambivalenzen herausführen, meint Böhnke.

Innerkirchliche Konflikte mit Rom gibt es zuhauf. Allein in der Presse- und Meinungsfreiheit liegen die Standpunkte weit auseinander. Bei den Studierenden fällt Böhnke auf, dass die Freiheitsrechte nicht im Vordergrund stehen. „Gleichheitsrechte, wie Genderfragen und Fragen der Inklusion etc. bestimmen den öffentlichen Diskurs und bestimmen das Bewusstsein unserer Studentinnen und Studenten. An das Thema Freiheit muss man die Mehrzahl der Studierenden erst heranführen.“ Daher wundere es ihn auch nicht, dass es der Populismus, vor allem durch Donald Trump geschürt, mit der Verunglimpfung der Presse so leicht hatte, und auch die Kirche tue sich schwer mit Meinungsfreiheit und Pressefreiheit. „Manchmal habe ich den Eindruck, das betrifft jetzt staatliches wie auch kirchliches Handeln, dass in Bezug auf die Freiheitsrechte, das Rad der Geschichte mit Macht von den Mächtigen zurückgedreht werden soll. Mir fällt es gleichzeitig schwer, Kirche auch als Anwältin der Freiheitsrechte anzusehen, obwohl sie das von ihrer Grundbotschaft her sein will.“ Gott habe sich nämlich in Jesus Christus aus freiem Entschluss dazu bestimmt, nicht ohne die Menschen Gott sein zu wollen. Und damit habe er auf die Freiheit der Menschen gesetzt. „Von daher müsste die Kirche Anwältin der Freiheit sein. Und ohne Freiheit gibt es keinen Frieden“, sagt Böhnke bestimmt.

Die Wertschätzung der Geschlechter

In der Genderdebatte forderte unlängst der Essener Weihbischof Ludger Schepers eine in Sprechen und Handeln ablesbare Wertschätzung der Geschlechter: Die Kirche wolle auf allen Ebenen geschlechtersensibel handeln. „Ob die Kirche das will“, grübelt Böhnke, „weiß ich nicht.“ Bei der römischen Menschenrechtsfachtagung sprachen Wissenschaftler*innen gar von einer katholischen Anti-Genderstrategie oder zogen die freie Wahl des Lebensstandes in Zweifel. „Die Frage der Eheschließung gleichgeschlechtlicher Paare muss dabei ebenso bedacht werden, wie die Frage des Zugangs zu kirchlichen Weiheämtern. Bisher ist in der katholischen Kirche weder eine Segnung gleichgeschlechtlicher Paare, noch eine Weihe von Frauen oder Personen, die divers sind, zu Diakonen, Bischöfen oder Priestern möglich. Und ich glaube, hier fehlt es an einer Reflexion auf die Personenwürde des Menschen, die unabhängig von Geschlecht, Rasse oder sexueller Orientierung hinzukommt.“

Dabei könne nach Böhnke etwa auf Immanuel Kants Metaphysik der Sitten zurückgegriffen werden, denn die Personenwürde komme den Menschen eben ungeachtet ihres Geschlechts etc. zu: Der Mensch sei als moralisches Wesen, dem ein unbedingter Wert zukommt, anzusehen und anzuerkennen. Der Blick auf die Person sei wichtig, und das gelte auch für Jesus Christus, den die Kirche als Person verehre, durch die und in der Gott Mensch geworden sei, argumentiert der Theologe und schlussfolgert: „In Bezug auf die Amtsfrage, hätte die Kirche zu diskutieren, ob nicht unter dem Aspekt des Personseins und der Personenwürde, Frauen die Person Jesu Christi ebenso in ihrem Handeln darstellen können wie die Männer.

Verliert die Kirche den Kontakt zu den Gläubigen?

Ganz aktuell liest man in den Medien Titel wie „Köln stockt Termine für Kirchenaustritte auf“ und namhafte Historikerinnen und Historiker sehen die Katholische Kirche in absehbarer Zeit gar in ihrer Existenz bedroht. Da kommt schnell die Frage auf, ob die Kirche den Kontakt zu ihren Gläubigen verlieren könnte. Dazu Böhnke: „Die Kölner Kirchenleitung erweckt manchmal den Eindruck, als habe sie den Kontakt bereits verloren. Kirchenaustritte sind das eine Thema. Wir sind ja an einer Universität, in der sich über 400 Studierende darauf vorbereiten, als Lehrerinnen und Lehrer in öffentlichen Schulen auch das Fach Katholische Religionslehre zu unterrichten. Und viele Studentinnen und Studenten fragen zurzeit: Habe ich das falsche Fach gewählt?“

Es gehe nicht nur um einen Verlust an Kirchenmitgliedern, sondern es gehe ein Stück weit um die Zukunft der Kirche, und das sei auch schon vor den Missbrauchsvorwürfen zu beobachten gewesen. „Die Amtskirche erreicht immer weniger Menschen“, betont der Forscher, „es waren zunächst die am Rand Stehenden, die man nicht mehr erreicht hat und dann hat man auch schon unter Papst Benedikt XVI. die eigene Kerngemeinde nicht mehr erreicht. Es gab so etwas wie die Rede von einem vertikalen Schisma, zwischen oben und unten, und das hat sich ein Stück weit noch verstärkt, weil die Kölner Bistumsleitung sich auch schon von einem Teil ihrer Pfarrer und Priester verabschiedet hat. Da geht es nicht nur um Mitgliederzahlen. Da geht es darum, dass durch die Kirche ein Riss geht, der unabsehbare Folgen haben könnte.“

Nach Ansicht des Politikwissenschaftlers Hans Maier haben die Menschenrechte im 20. und 21. Jahrhundert die Kirche zwar erreicht, aber er bezweifelt auch, ob sie wirklich in ihr Inneres vorgedrungen seien. „Hans Maier hat sich schon in den 60er Jahren mit der Frage der Menschenrechte in der Kirche befasst. Er überblickt also die Entwicklung sowohl als Wissenschaftler als auch als verantwortlicher Politiker. Ich schätze sein Urteil und seine sehr klare Sprache und ich glaube, dass er einfach recht hat mit dem, was er da gesagt hat“, so Böhnke.