Festgottesdienst am Mittwoch Barmer Erklärung: Erbe mit Zuspruch und Anspruch
Wuppertal · 89 Jahre Barmer Theologische Erklärung: Das wird am Mittwoch (31. Mai 2023) ab 19 Uhr mit einem Festgottesdienst in der Gemarker Kirche (Zwinglistraße 5) gefeiert. Was es für ihn und die Gemeinde bedeutet, mit diesem historischen Erbe zu leben, erklärt Pfarrer Frank Schulte.
Sie sind seit einem Jahr Pfarrer der Gemarker Gemeinde, die als Ort der Barmer Theologischen Erklärung weltweit bekannt ist. Was bedeutet es Ihnen?
Schulte: „Ich finde es faszinierend, an diesem Ort zu arbeiten. Dafür habe ich nach 21 Jahren als Gemeindepfarrer in Hattingen sogar die Landeskirche gewechselt (lacht). Mich hat die Barmer Theologische Erklärung und die Theologie Karl Barths schon während meines Studiums in Wuppertal geprägt. Danach erwächst aus dem christlichen Glauben, neben vielem anderen, auch eine verantwortliche Haltung für eine Politik der Menschenwürde und Demokratie.
Persönlichkeiten wie der Gemarker Pfarrer Karl Immer, aber auch viele Presbyter:innen und Gemeindemitglieder haben diese Haltung in der NS-Zeit gelebt – mit allen gefährlichen Konsequenzen, die das für sie hatte. Später entstand die jüdische Synagoge in direkter Nachbarschaft mit. Dass der jüdisch-christliche Dialog hier eine so große Rolle spielt, finde ich großartig.“
In der Barmer Erklärung fehlt allerdings eine siebte These, die die Zusammengehörigkeit von Christen- und Judentum betont.
Schulte: „Darauf konnten sich die 138 Synodalen damals leider nicht verständigen. Unter ihnen gab es Protestanten, die die Politik des NS-Regimes gut fanden, zu mindestens hinnahmen – auch deren menschenverachtenden Umgang mit politischen Gegnern und Juden. Die Riesenlast unserer deutschen Geschichte ist hier hautnah zu spüren. Das ist spannend und eine Herausforderung, es heute besser zu machen.“
Wie geht es jüngeren Menschen damit? Beschäftigt sie die Frage nach der Rolle der Kirche in Staat und Gesellschaft überhaupt noch?
Schulte: „Ich erlebe gerade bei jungen Menschen eine große Offenheit, aber auch Unkenntnis über das Thema Kirche und Staat. Deshalb ist unsere Ausstellung zur Barmer Theologischen Erklärung, die direkt an unseren Kirchraum grenzt, so wichtig. Die Institution Kirche wird oft für überflüssig gehalten, weil man meint, den Glauben auch für sich leben zu können. Aber wir brauchen auch eine strukturierte Gemeinschaft für unseren persönlichen Glauben. Institutionen sind manchmal anstrengend und unbeweglich, aber hier können wir im Kleinen Vielfalt und Demokratie leben.
Wir bekommen Gottes Zuspruch, dass jede und jeder Einzelne geliebt und wertvoll ist. Daraus erwächst aber auch der Anspruch, unsere Gesellschaft und Welt in diesem Sinne zu gestalten, eben Verantwortung zu übernehmen. Alles andere wäre immer nur Wellness, das macht auch keinen Spaß.“
Was heißt das für Ihre Gemeinde angesichts der vielen Krisen, die wir in Politik, Gesellschaft und Kirche erleben?
Schulte: „Es ist bestimmt leichter, Glauben heute als Privatsache zu sehen und sich in die eigene Innenwelt zurückzuziehen. Als Gemeinde eine Haltung zum Thema Nachhaltigkeit, Friedensethik oder Flüchtlingsschutz zu entwickeln und auf dieser Basis konkret vor Ort zu handeln, erfordert viel Diskussion und gute Nerven. Zumal wir gerade selbst in einem großen Umgestaltungsprozess stecken und uns als kleiner werdende Kirche neu aufstellen müssen.
Die Barmer Bekenntnissynode mit ihrem Ringen um den Auftrag von Kirche in Staat und Gesellschaft ist für mich hier ein Vorbild. Weil sie Menschen motivierte, die aktiv wurden und Verfolgte aufgenommen und sich um die Außenseiter der Gesellschaft gekümmert haben. Diese Tradition wirkt bis heute nach. Es gibt in Barmen ein offensives Nachfragen und Hinterfragen, eingebettet in eine ,Ich mach das selber‘-Kultur. Das schätze ich sehr.“