Studie „Wuppertal bis 2035 klimaneutral“ Viele Fragen an den Oberbürgermeister
Betr.: Studie „Wuppertal bis 2035 klimaneutral“
Nach rund 240 Tagen im Amt hat OB Schneidewind sein ambitioniertes Programm vorgelegt, wie er Wuppertal bis 2035 in die Klimaneutralität führen will. Damit reiht er sich ein in die wachsende Zahl der Städte, welche die Zeichen der Zeit erkannt und sich ebenfalls dazu verpflichtet haben, Klimaneutralität noch vor 2045 zu erreichen. Dafür ist ihm sehr zu danken.
Sehr zu begrüßen ist auch, dass der Oberbürgermeister nach langem Schweigen während seiner bisherigen Amtszeit erstmals mutig mit einer substantiellen und dringend erforderlichen Zukunftsperspektive für unsere Stadt an die Öffentlichkeit getreten ist. Mutig deshalb, weil jeder einzelnen Bürgerin/jedem Bürger vor Augen geführt wird, dass ohne eine gemeinsame Anstrengung und die Bereitschaft aller, die eigenen Lebensgewohnheiten kritisch zu hinterfragen, und wo notwendig zu verändern, das Ziel nicht zu erreichen ist.
Nicht alle werden davon spontan überzeugt sein, vor allem, wenn es um Fragen der Mobilität geht.
Wer dazu die umfangreiche Publikation des Wuppertal Instituts „Nachhaltige Mobilität für alle“ hinzuzieht, wird feststellen, dass die größte gesellschaftliche Herausforderung darin besteht, die auf dem motorisierten Individualverkehr basierenden gesellschaftlichen Mobilitätsgewohnheiten grundlegend zu ändern und die dazu notwendige Einsicht und Akzeptanz in der Bürgerschaft zu erreichen.
Dies führt zu der ersten an den Oberbürgermeister gerichteten, kritisch-konstruktiven Frage: Wäre es nicht an der Zeit, gerade in diesem Punkt sehr viel stärker auf die in vielen Bereichen bereits engagierte Zivilgesellschaft zuzugehen, die mit dazu beitragen kann, das ambitionierte Ziel zu kommunizieren und auf eine breite Basis der Akzeptanz zu stellen?
Das Problem des motorisierten Individualverkehrs tangiert Wuppertal in besonderer Weise, das ist bekannt. Die Stadt ist durchschnitten von einer überwiegend dem überregionalen Transitverkehr gewidmeten Autobahn, auf der durchschnittlich mehr als 100.000 Fahrzeuge pro Tag das Stadtgebiet queren, Tendenz steigend. Der Bund hat mit dem weiteren sechsstreifigen Ausbau der A46 begonnen und im Schulterschluss mit dem Land soll zusätzlich mit der sogenannten Südtangente eine weitere Trasse auf Autobahnniveau mit Anschluss von der A46 an die A1 entstehen. Auf dieser neuen Autobahn werden gemäß Gutachten des Ingenieursbüros IVV Aachen je nach Streckenabschnitt im Prognoseplanfall 2030 etwa 40.000 bis 50.000 Fahrzeuge zusätzlich täglich verkehren.
Dies führt zu weiteren Fragen an den Oberbürgermeister: Kann es sich die Stadt erlauben, vor diesem massiven Umweltproblem, das für sich genommen bereits das Potential hat, das Ziel Klimaneutralität bis 2035 ins Unerreichbare zu katapultieren, weiterhin die Augen zu verschließen und sich nach Haltung des zuständigen Dezernats auf „Nicht-Zuständigkeit“ zu berufen? Reicht es aus, wenn in diesem Zusammenhang in der Sondierungsstudie des Wuppertal Instituts lediglich in unbestimmter Zeit eine „Reform des Bauordnungs- und Planungsrechts“ angemahnt wird? Ist hier nicht vielmehr unmittelbar Handlungsbedarf gegenüber dem Bund und dem Land vonnöten und vorrangig eine Abkehr von der bis dato bestehenden Befürwortung dieser Ausbaupläne seitens der Stadt?
Die Studie zeigt auf, dass in vielfältiger Hinsicht ohne einen massiven Ausbau des Umweltverbundes und hier insbesondere des ÖPNV das angestrebte Umweltziel nicht zu erreichen ist. Statt des erforderlichen Ausbaus geschieht nun aber mit den gegenwärtig sich wiederholenden Einschnitten in das Leistungsspektrum des ÖPNV das genaue Gegenteil, was zu weiteren Fragen an den Oberbürgermeister führt: Bis 2035 bleiben uns knapp 14 Jahre Zeit. Ist es tolerierbar, dass sich angesichts dessen die Entwicklung weiterhin rückwärts wendet statt nach vorn? Ist es nicht jetzt, das heißt sofort an der Zeit, zumindest der ruinösen Demontage des ÖPNV Einhalt zu gebieten, mit dem Status Quo die Null-Linie zu bestimmen, um von ihr aus in die richtige Richtung zu gehen?
Das Programm des Oberbürgermeisters ist mutig, engagiert und zukunftsweisend. Es verdient jede erdenkliche Unterstützung, die zu seiner Realisierung beiträgt. Not tut allerdings, dass „blinde Flecken“ (überregionaler Straßenbau und Verkehr) erhellt sowie die rückwärtsgewandten Bestrebungen in Bezug auf den Umweltverbund jetzt und nicht irgendwann unterbunden werden.
Die Zeit läuft. Schauen wir gemeinsam nach vorn.
Armin Brost