„Das Stück mit dem Schiff“ von Pina Bausch Seltsamer Strand im Niemandsland

Wuppertal · 29 Jahre nach der Uraufführung gab es jetzt die von Saar Magal und Niv Marinberg aus Israel geleitete Neueinstudierung des kaum gespielten Pina- Bausch-Werkes „Das Stück mit dem Schiff“ auf der Opernhausbühne zu sehen.

Ophelia Young in „Das Stück mit dem Schiff“ von Pina Bausch.

Foto: Laszlo Szito

Das Schiff, das dem Ganzen den Namen gibt, thront – hoch, groß und auf Grund gelaufen – im Hintergrund. Ansonsten Steine und Sand. Ein während der Jahrzehnte unverändertes Peter-Papst-Bühnenbild. Kein Wasser weit und breit. Wenn, dann aus der Industriereiniger-Pistole, in wenigen Eimern – und mal als Gewitterregen.

An diesem seltsamen Strand im Niemandsland ist Platz für ein vielköpfiges Ensemble – Platz für zahlreiche Soli, einige Zweier-Begegnungen und wenige Gruppen-Szenen. Der karge Ort, der viele Fragen aufwirft und keine beantwortet, ist erfüllt von schwermütigen Händel-und-Gluck-Arien, vom gesungenen „Unter der Linden“ aus der mittelalterlichen Feder des Walther von der Vogelweide, von der live gespielten Drehleier.

Zu dieser Musik zeigt sich fast das komplette Ensemble von seiner Solo-Seite – individuell und berührend. Oder sie sind zu zweit. Der große, starke Michael Strecker und die kleine, zerbrechliche Ditta Miranda Jasjfi beispielsweise: Er trägt sie wie ein Gepäckstück und wie ein Kind – so hängen sie aneinander die ganze Zeit. Oder Taylor Drury und Milan Nowoitnick Kampfer: Wenn sie zusammen tanzen, bricht es einem das Herz vor Glück, wenn das plötzlich endet, bricht es einem das Herz vor Schmerz.

Man mag das alles – vor allem im Vergleich zur rasanten, ereignisreichen „Schlafenden Frau“ eine Woche zuvor – zu leise und zu lyrisch finden. Doch ist gerade das die Stärke der ersten Hälfte von „Das Stück mit dem Schiff“, das mit einer beeindruckenden Summton-Diagonal-Choreografie aller Männer und Frauen in die Pause geht.

Danach ist dann definitiv mehr los: In Sachen (auch deutlich lauter werdender) Sounds gibt‘s jetzt viel Ethno- oder Weltmusik – und auch die Sprechanteile steigen. Vor allem Ophelia Young, die als Gast mit von der Partie ist, zeigt sich hier mehrfach sowohl schauspielerisch als auch mit viel Körperpräsenz von ihrer besten Seite.

„Das Stück mit dem Schiff“ nimmt die ewigen Pina-Bausch-Themen in den Blick: Dass wir uns so sehr sehnen nach der Liebe, die doch so selten „funktioniert“, dass wir einsam nicht sein wollen, und es doch so oft sind, dass wir oft dumme Sprüche machen oder über dumme Witze lachen, um zu verbergen, dass wir ängstlich sind und unserer selbst nicht sicher. 

Ein Stück weit wirkt „Das Stück mit dem Schiff“ wie aus der Zeit gefallen. Intensiv ist es trotzdem – und immer wieder wunderschön. Vor allem ganz zum Schluss, wenn alle – bis auf einen, der das „Abschiedsfoto“ vom Sand aus macht – sich an der Bordwand versammeln, hoch oben und hinterleuchtet wie ein Stillleben. Nur halt eines mit Menschen. Dass aber dieser Schluss-Eindruck – sowie der dann folgende Applaus – unterbrochen wird durch zwei Solo-Zusatzszenen, deren Sinn sich nicht erschließt, das ist schlicht ärgerlich.

Wie geht es weiter mit Pina Bauschs Erbe? Wie lässt es sich lebendig halten und zugleich transformieren? Wichtige Fragen, die im Raum stehen. „Das Stück mit dem Schiff“ zeigt: Pina Bausch ist ganz eigener Tanz UND ganz eigenes Theater. Die, die schon länger mit an Bord sind, haben das im Blut. Manchen anderen fehlt das – noch.