Wuppertaler Schauspiel: „Der Revisor“ von Gogol Goldene Hunde, graue Ratten
Wuppertal · Eine Komödie, die mehr kann, als „nur“ Komödie: Mit Nikolaj Gogols „Der Revisor“ von 1836 bringt das Wuppertaler Schauspiel einen überhaupt nicht veralteten Stoff auf die Opernhausbühne.
Die aktuelle Polit-Randbemerkung gleich zu Beginn, denn die Debatte, ob man zurzeit russische Kunst zeigen darf/kann/soll, schlägt Wellen: Gogol wurde 1809 in der Ukraine geboren.
Für die Bühne des Opernhauses hat Ria Papadopoulou, die schon die Wuppertaler „Sommernachtstraum“-Inszenierung optisch sehr stark gestaltet hatte, ein beeindruckend grau-finsteres Rattenloch geschaffen – Betonflächen, verrostete Türen, riesige Kanalrohrmündung irgendwo im Nirgendwo.
Dort, im Nirgendwo einer russischen Provinzstadt, agiert unter der Regie von Maja Delinic ein skurril-abstruses Panoptikum von Amtsträger-Figuren. Die sind – Grau in Grau – wie Ratten seit Jahrzehnten darauf bedacht, nicht das öffentliche Wohl, sondern ihr eigenes im Auge zu haben. Kurz: Die Leitungsebene dieser Stadt, die Spitze der Gesellschaft, ist korrupt bis auf die Knochen.
Jetzt droht höchste Gefahr: Ein Revisor, sprich ein staatlicher Wirtschaftsprüfer, ist (als Inkognito-Reisender) angekündigt. Ist es der im Gasthof abgestiegene junge Beamte aus St. Petersburg? Die Stadtoberen sind fest davon überzeugt. Doch sie irren.
Was sich jetzt entfaltet, ist eine Slapstick- und Textkaskade auf hohem Niveau mit jeder Menge Lacher-Potenzial: Der angebliche Revisor ist ein selbstverliebter Bankrotteur, den Bürgermeister & Co. schmieren, was das Zeug hält. Man lügt sich gegenseitig die Hucke voll, dass sich die Balken biegen. Die Inszenierung stellt bestens unter Beweis, dass diese bitterböse Komödie auch nach fast 190 Jahren nichts von ihrem Biss verloren hat. Wenn sie so präsentiert wird, wie hier in Wuppertal.
Das Ensemble brennt ein (auch akrobatisches) Feuerwerk ab, bei dem sich allen voran Bürgermeister Stefan Walz als wahres Pulverfass erweist. Doch viele andere stehen ihm nicht nach: Besonders Silvia Munzón López, die nicht nur den einarmigen Chef der Krankenhausverwaltung, sondern auch die Bürgermeistergattin spielt. Als solche wechselt sie dreifach die Frisur und die Garderobe (großer Gesamtapplaus für Janin Lang angesichts aller Kostüme!) – bleibt aber ihrer lüstern-erotischen Selbstsucht treu. Auch gegen ihre Tochter. Denn dem Charme des jungen angeblichen Revisors (Kevin Wilke – elegant und aalglatt) gehen die provinziell gelangweilten Damen nachhaltig ins Netz.
Am Ende haben sie alle nichts davon: Der Revisor, der keiner ist, betrügt die kommunalen Betrüger – und macht sich, per Bestechung finanziell gut versorgt, mit seinem Diener (erstmals in Wuppertal: Jonathan Schimmer als einzig „Normaler“ in diesem Irrsinn) aus dem Staub.
Die große Party, die die Stadtspitze mit haufenweise goldenen aufblasbaren Hunden als Anspielung auf die nebenberufliche Hundezucht des städtischen Richters und der Hoffnung auf die Hochzeit von Revisor und Bürgermeistertochter feiert, platzt wie eine Seifenblase.
Ein rasanter Ritt ist dieser „Revisor“. Obwohl ihm im zweiten Teil etwa 15 Minuten weniger sehr gut getan hätten. Da wird zu viel erklärt, das das Publikum längst begriffen hat.
Korruption, Speichelleckerei, Obrigkeitsglaube, „mehr Schein als Sein“, Wichtiggetue und der Zusammenbruch mühsam vorgespiegelter falscher Tatsachen. Das gab’s 1836, das gibt’s heute, das wird es immer geben. Da machste nix.
Die weiteren Aufführungen im Opernhaus: 18. und 25. März 2023, 13. und 14. Mai 2023 sowie am 10., 16. und 17. Juni 2023.