„Dantons Tod“ von Georg Büchner Kopf ab – in anderthalb Stunden
Wuppertal · Das Wuppertaler Schauspiel legt Georg Büchners Klassiker „Dantons Tod“ unters Brennglas, wechselt die Geschlechter, badet im Blut – und formuliert ein aktuelles Polit-Statement.
Der Showdown zwischen Ober-Tugendwächter Robespierre und dem der menschlich-individuellen Unzulänglichkeit zugewandten Danton: Das ist der Kern dieser 90-Minuten-Inszenierung von Anna-Elisabeth Frick auf der Vorbühne im Opernhaus. Ein Stück, das den „Schreckensherrschaft“-Höhepunkt der französischen Revolution, als die Guillotine täglich und wahllos wütete, ins Licht gnadenloser Scheinwerfer stellt.
Die Widersacher, die einst revolutionäre Kampfgefährten waren, sind hier in Wuppertal zwei Frauen: Julia Meier als besserwisserisch-belehrende, intellektuell-kalte Robespierre, Annou Reiners in leicht derangierter Rokoko-Robe ist als Danton müde des Mordens, stemmt sich lauthals und wütend gegen die Übermacht der Enthaupter. Vergeblich. Ihr Kopf fällt. Wir schreiben den 5. April 1794.
Das Außergewöhnliche dieses Wuppertaler „Danton“, der sich in einem Bühnenbild (Christian Blechschmidt) abspielt, das, je weiter die Handlung fortschreitet, an ein abgewracktes (Revolutions-)Schiff erinnert: Robespierre und Danton begegnen sich nie. Überhaupt bleiben alle allein. Robespierre und Danton, Stefan Walz als im Sound seiner Schweizer Heimat mit abstrus-blutigen Geschichtchen die Szenen verbindender Conferencier – und Thomas Braus als St. Just, das im wahrsten Wort- und Anblick-Sinn fleischgewordene Schlachtermesser der jakobinischen Revolutions-Hardliner.
Während Annou Reiners als Danton den Intensitäts-Contest gegen Julia Meiers Robespierre gewinnt (sehr ärgerlich nur, dass man sie manchmal vor lauter Begleitmusik nicht versteht), setzt Braus auf der Bühne atemberaubende Maßstäbe: Mehr auf jeden Muskel heruntergeschälte Körperlichkeit geht kaum noch. Die von Pascal Merighi betreute Choreographie seines Auftrittes macht Pina Bausch alle Ehre. Und sein Text, der die vieltausendfachen Guillotine-Opfer notwendig nennt sowie ganz selbstverständlich mit den unvermeidlichen Menschenverlusten bei Naturkatastrophen vergleicht, lässt das Blut in den Adern gefrieren.
Gerade hier ist der Wuppertaler „Danton“ explizit politisch: Wer die Tugend (oder die vermeintlich wahre, richtige Erkenntnis) für sich gepachtet zu haben meint, kann durchaus auch mit dem Label des rechten Glaubens auf der Fahne töten, so lange ihn niemand stoppt. Für Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Oder trotzdem. Auf der Liste revolutionärer Diktatoren, die in späteren Jahrhunderten ähnliche Wege gingen, steht viel Prominenz.
Wenn Robespierre zu Beginn des Stückes das Publikum mitnimmt in die Tunnelblick-Betrachtung der „bösen Zeiten, in denen wir leben“, dabei ganz nebenbei auch SUV-Hybrid-Fahrer als Untugendhafte erwähnt – dann sind wir (und das ist gewollt!) mitten im Jetzt. Reicht es, zu sagen „Wir machen alles richtig und ihr macht alles falsch“? Und wohin wird das führen? In die Demokratie sicher nicht.
Apropos „wohin wird das führen?“ Julia Meier-Robespierre hat ihre Start-Szene, an deren Ende sie mit gebeugtem Kopf in einer Ecke kniet. Dann sieht man sie nie wieder. Annou Reiners-Danton liegt am Ende ihrer Szene bis zum Schluss des Stückes ausgestreckt auf einem Holzpodest. Thomas Braus-St. Just legt sich zu ihr.
Auch sein Kopf fiel. Wir schreiben den 27. Juli 1794. Robespierres Haupt rollte einen Tag später. Wie sagte es Annou Reiners während ihres Danton-Monologes: „Die Revolution frisst ihre Kinder.“
Anderthalb Stunden dauert das alles nur. Bis auf Conferencier Walz sind alle tot. Die Bühne wird dunkel. Zu begreifen, dass es das war mit „Dantons Tod“ dauert ein paar lange Sekunden.
Eine merkwürdige Inszenierung. Aber eine bemerkenswerte.
Die nächsten Termine: Freitag, 15. Oktober 2021, Freitag, 29. Oktober 2021, und Donnerstag, 4. November 2021, 19.30 Uhr, Sonntag, 21. November 2021, 18 Uhr. Immer im Opernhaus.
Alle Informationen auf www.wuppertaler-buehnen.de.