Wuppertaler Oper digital Betörend schön leuchtet ihr Sopran
Gestreamte Opernsternstunde in Wuppertal: Julia Jones dirigiert, Ralina Ralitsova singt „La Traviata“.
Ach, welch ein Jammer, dass diese Produktion es nicht auf die Bühne geschafft hat! Verdis „La Traviata“ ist für das Opernpublikum nur im Videostream zu erleben, und auch der zeigt nur die konzertante Aufführung des Werkes in der Stadthalle. Für Chefdirigentin Julia Jones ist es die letzte Oper in Wuppertal, ein Bühnenabschied ohne Bühne und Publikum.
Man kann noch einmal den klaren Gestaltungswillen bewundern, der ihre Operndirigate geprägt hat – sehr konzentriert und diszipliniert, immer mit Blick auf das Ganze, kein Verlieren im Detail, keine Sentimentalität. Kontrollierte Offensive nannte man das früher im Fußball. Julia Jones kann es auch richtig krachen lassen: Die Musik hat da, wo es verlangt ist, nervöse Energie und drängt nach vorne. Das Orchester präsentiert sich in blendender Verfassung, die Holzbläser spielen traumhaft schöne Soli, aber immer erkennbar als Teil des Orchesters. An den langen Nachhall der leeren Stadthalle muss man sich gewöhnen, und der an sich gute Chor ist (anders als die Solisten) nicht immer ideal abgemischt, da treten auch schon mal Einzelstimmen hervor.
Auch den jungen Sängerinnen und Sängern aus dem hauseigenen Ensemble hätte man eine echte Premiere auf der Bühne gewünscht – schon deshalb, weil immer wieder der von Verdi mitgedachte Zwischenapplaus fehlt (die Aufzeichnung erfolgte schon vor einigen Wochen, als noch gar kein Publikum zugelassen war). Ralitsa Ralinova als jugendliche Traviata bewältigt aber alle Tücken der Partie bravourös – mit zupackender Attacke in den dramatischen Passagen, mit lyrischer Emphase und großer Intensität. Und in der hohen Lage leuchtet ihr Sopran betörend schön auf: Das kann sich auch weit über die Stadtgrenzen hinaus hören lassen. Die todkranke Frau nimmt man ihr natürlich keinen Ton lang ab. Wer so phantastisch singt, der siecht sicher nicht gerade an Schwindsucht dahin. Das alte Traviata-Problem eben.
Hier sollte ein Regisseur wohl besser die Sterbeszene umdeuten und das Liebespaar triumphal abgehen lassen, denn Sangmin Jeon gibt ihren Liebhaber Alfredo mit draufgängerischem Tenor, und in den meisten hohen Passagen trumpft er beeindruckend kraftvoll auf (nur gelegentlich wird die Stimme flach). Die lyrischen Momente sind nicht so seine Sache, gleichwohl gibt es Zwischentöne. Und Bariton Simon Stricker ist zwar für Alfredos Vater Giorgio Germont im Grunde deutlich zu jung, singt aber derart zupackend und lebendig mit kraftvollem Bariton, dass man die fehlende Altersdistanz schnell vergisst.
Das alles ist ziemlich große Oper, was man, das ist zu befürchten, auch an prominenteren Bühnen vernehmen wird: Hoffentlich bleibt dieses großartige Trio dem Haus erhalten, bis der vorgesehene Regisseur Nigel Lowery eines Tages doch noch inszenieren wird. Geplant ist das.
Jetzt muss man sich mit dem Stream begnügen, und das ist nicht unkompliziert. Die Online-Premiere fand schon statt, danach hat man nur noch zweimal die Möglichkeit, die Aufführung an Laptop, PC oder notfalls Smartphone anzuschauen und zu hören – am heutigen 10. Juli und am 16. Juli, dann für jeweils 24 Stunden. Mehr sei wegen der technisch aufwendigen Betreuung des Streams nicht drin, ließ Intendant Berthold Schneider mitteilen.
Und warum liegen die Termine ausgerechnet in den Schulferien? Man erhoffe sich „Aufmerksamkeit in einer Zeit, in der die Theater der Region ferienbedingt kein Angebot haben“, so Schneider weiter.
Aber werden Wuppertaler Opernliebhaber wirklich an der Playa de Palma, droben auf der Berghütte oder im Familien-Ferienpark demnächst Sangria, Germknödel und Currywurst beiseiteschieben, um Julia Jones auf dem Tablet die „Traviata“ dirigieren zu sehen?
Verdient hätten es die Musikerinnen und Musiker.