Nachruf Ex-Operndirektor Meyer-Oertel: Ein Glücksfall für das Stadttheater
Wuppertal · Nachruf zum Tode des langjährigen Operndirektors Friedrich Meyer-Oertel.
Zu den ganz großen Opernglücksmomenten meines Lebens gehört der Schluss von Richard Strauss’ „Rosenkavalier“ in den späten 1980er Jahren im Barmer Opernhaus. Drei Menschen standen da zur allerschönsten Musik auf der zunehmend leeren Bühne, während die Kulissen um sie herum abgebaut wurden. Halt suchend an den verbleibenden Requisiten, weil ihnen gleichsam der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Es war eben alles nur eine wienerische Maskerad’, wie es im Text heißt, was sie an Hoffnungen und Täuschungen zuvor erlebt haben.
So eindringlich wie in dieser Inszenierung habe ich das nie wieder gesehen. Theater als Ort der Utopien und Träume, deren Unerfüllbarkeit ebenso mitgedacht wie deren unbedingte Notwendigkeit für unser Menschsein: Das war große Theaterkunst. Regie geführt hatte Friedrich Meyer-Oertel. Am 14. März ist der langjährige Operndirektor der Wuppertaler Bühnen im Alter von 84 Jahren verstorben. 1936 in Leipzig geboren, studierte Meyer-Oertel in Wien unter anderem Oboe, Komposition und Musikwissenschaften, bevor er sich ganz dem Theater zuwandte. Obwohl national wie international als Regisseur gefragt, bevorzugte er die kontinuierliche Arbeit an einem festen Theater – so als Operndirektor in Mannheim von 1974 bis 1979 und danach in gleicher Position an den Wuppertaler Bühnen, wo er bis 1996 blieb und das Haus unter drei Intendanten (Hellmuth Matiasek, Jürgen Fabritius und Holk Freytag) stilistisch prägte.
Unvergessen Händels „Alcina“ (1981), in der er, wie so oft im Verbund mit der legendären Bühnenbildnerin Hanna Jordan, der grauen Realität einen Theaterzauber entgegensetzte, dass einem der Mund offen blieb vor Staunen. Eine Großtat auch Wagners „Ring des Nibelungen“ (1984 bis 1985), durchaus märchenhaft naiv erzählt, aber nicht ohne Anspielungen auf den Militarismus des deutschen Kaiserreichs, in dessen Anfängen der Zyklus seinerzeit zur Uraufführung kam.
Meyer-Oertel war kein Modernisierer. Er blieb meist in der Handlungszeit der Werke, ohne dabei museal zu werden. In besagtem „Rosenkavalier“ legte er die Doppelbödigkeit offen, mit der Strauss und Librettist Hofmannsthal das Wien Maria Theresias mit dem Wien des frühen 20. Jahrhunderts durchdrangen. In Mozarts „Cosi fan tutte“ zeigte er in scheinbar harmloser Rokoko-Idylle einmal mehr, dass die Welt der Wünsche und Träume tragfähiger ist als die Rationalität des Alltags – und wie schon in „Alcina“ war das vermeintlich gute Ende der Oper für Meyer-Oertel in Wahrheit ein tragisches, weil sich die Vernunft durchsetzte gegen die Fantasie.
Mit Stücken wie Wagners Jugendwerk „Die Feen“ oder Henry Purcells „König Arthur“ gelangen ihm hinreißende Entdeckungen, und hin und wieder brachte er auch Stücke zur Uraufführung wie „Die fünf Minuten des Isaac Babel“ und „Die Trauung“ von Volker David Kirchner, letzteres Werk inszeniert als verstörender Alptraum, oder „Kyberiade“ von Krzystof Meyer.
Meyer-Oertels liebevoller und immer sehr genauer Blick auf das Stück und seine Figuren war ein Glücksfall für ein im Herzen konservatives, gleichwohl lebendiges und lebensnahes Stadttheater. Als sich mit Hanna Jordan 1990 seine kongeniale Bühnenbild-Partnerin vom Theater verabschiedete, verloren seine Inszenierungen an Kraft, wirkten in der zunehmenden Politisierung auch der Opernregie zunehmend verloren – das war, so schien es, nicht mehr seine Welt. Als 1996 aus den Wuppertaler Bühnen durch Fusion mit dem Musiktheater Gelsenkirchen das „Schillertheater NRW“ wurde, wechselte Meyer-Oertel nach Darmstadt, wo er bis 2004 arbeitete.
„Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding“, heißt es im sehnsüchtig der Vergangenheit nachtrauernden „Rosenkavalier“. Meyer-Oertel war in seinen Regiearbeiten zu scharfsinnig, um in Nostalgie zu verfallen. Er hat vielmehr beharrlich und durchaus mit Witz nach besseren, phantastischeren Welten gesucht – und immer den Menschen, nicht die höhere Idee, in den Mittelpunkt gestellt. So hat er, gemeinsam mit Hanna Jordan, in einer Dekade die Wuppertaler Oper geprägt wie niemand nach ihm.