Schauspiel Wuppertal: Spielzeitstart mit „Macbeth“ Blut, Buh- und Bravorufe

Wuppertal · Sie wollen Shakespeare ganz klassisch und traditionell? Dann bleiben Sie angesichts der aktuellen „Macbeth“-Inszenierung des Wuppertaler Schauspiels lieber zu Hause...

Alexander Peiler, Thomas Braus, Julia Meier und der mehrfach auftretende blutige Kopf, der mal im WC, mal in der Waschmaschine, mal im Kühlschrank oder auch im Papierkorb „geparkt“ wird.

Foto: Uwe Schinkel

... denn was Regisseur Marcus Lobbes aus der von etwa 1606 stammenden Tragödie gemacht hat, ist waghalsig, riskiert ganz neue Sicht- und Sprechweisen, strafft den Stoff auf 80 Minuten – und geht ganz bewusst über die Grenzen von Klassik und Tradition.

In einer komplett grünen modernen Einraum-Wohnung hinter einem Plastikvorhang agieren Rebekka Biener, Thomas Braus, Julia Meier, Alexander Peiler, Kevin Wilke und Julia Wolff als sechs komplett in gelbe Mittelalter-Mode gekleidete Frauen und Männer (Bühne: Robi Voigt, Kostüme: Pia Maria Mackert), um die blutrünstige Geschichte von Macbeth, der sich – von seiner Frau angestachelt – zum Königsmörder, Freundesmörder, Tyrannen aufschwingt und dann untergeht, zu zeigen.

Der Text, den sie sprechen, wurde von dem bekannten Schriftsteller John von Düffel behutsam bearbeitet: Das Shakespearische geht dabei nicht verloren. Wer allerdings auf eine schauerliche Drei-Hexen-Szene zu Beginn hofft, muss sich umstellen: Solch eine Szene gibt es nicht, das Hexen-Gespräch kommt im englischen Original und mit dem Sound einer Automaten-Stimme vom Band. Gewöhnungsbedürftige Idee.

Diese Stimme spricht übrigens auch jeweils die laufende Szenen-Nummer. Dann wechselt das Licht, die Figuren frieren für kurze Zeit ein, es wird ganz still – und alle sehen aus wie hohläugige Totenköpfe. Großartige Idee.

Apropos Idee: Einen Macbeth beziehungsweise eine Lady Macbeth gibt es nicht. Die Darsteller wechseln ständig. Wer den spitzen Hut mittelalterlich-adliger Damen aufhat, ist Lady Macbeth. Das gilt auch für die Männer. Macbeth selbst gibt’s gleich mehrfach und mehrstimmig: Als Chor verschafft sich der unrechtmäßige König Gehör. Dieses Chor-Experiment übrigens ist nicht nur gut verständlich, es hat auch viel Reiz des Ungewöhnlichen.

Apropos ungewöhnlich: Ein abgetrennter blutiger Kopf, der sowohl im WC, in der Waschmaschine, im Kühlschrank oder im Papierkorb landet sowie auch mal über die Bühne gekegelt wird, sorgt gar für den ein oder anderen Lacher. Lachen bei „Macbeth“? Doch, doch.

Das grün-gelbe Stück kommt zäh in Fahrt. Aber wenn Julia Meier als eine von drei Hexen sich die gehörnte Haube aufsetzt, vom Kinn aus angestrahlt, vom Zuschauer abgewandt in den Spiegel spricht, ihr Gesicht an der Bühnenrückseite übergroß zu sehen ist – von da an bläst mächtiger Wind in die Segel dieses Wuppertaler „Macbeth“. Julia Meiers Sprech-Magie erinnert an die Synchronstimme von Kate Blanchett als Elbin Galadriel in der „Herr der Ringe“-Verfilmung – und eröffnet den Showdown im Opernhaus. Wenig später ganz stark Julia Wolff als schon wahnsinnig gewordene Lady Macbeth mit blutigen, niemals sauber werdenden Händen.

Der Schluss auf Macbeth‘ Burg Dunsinan, das Ende des Tyrannen, kommt schnell und heftig. Der Wald von Birnam – in Form von großen Zimmerpflanzen – steht einsam auf der Bühne, das Ensemble verschwindet nach hinten ins Nichts.

Am Premierensamstag gab es viel Applaus sowie Bravo- plus zahlreiche Buhrufe.

Wie schon zu Anfang gesagt: Dieser Wuppertaler „Macbeth“ ist waghalsig. Wer jedoch live erleben will, wie man die uralte Story vom verbrecherischen Weg zur verlockenden, aber unrechtmäßigen Macht, vom schwer lastenden Druck des daraus folgenden Schicksals und vom schrecklichen Ende, zu dem diese üble Mixtur unweigerlich führt, ganz anders als gewohnt erzählen kann, der muss sich das unbedingt anschauen.

Weitere Aufführungen im Opernhaus am Donnerstag. 29. September 2022, 19.30 Uhr, Sonntag, 30. Oktober 2022, 16 Uhr und Freitag, 9. Dezember 2022, 19.30 Uhr Dann wieder im kommenden Jahr. Infos auf www.wuppertaler-buehnen.de.