Wendland, Thailand, Schule, Knast
Wuppertal · Schon vor kurzem gab es einen Rundschau-Blick auf den (Wuppertaler) Bücherneuerscheinungsmarkt im Herbst. Hier kommt die nächste Folge.
Hermann Schulz, einer der bekanntesten Wuppertaler Autoren, wurde in Ostafrika geboren, wuchs aber einige Jahre lang — ohne Mutter und Geschwister — im Wendland in Niedersachsen bei verwandten Bauern auf. Diese Zeit hat Schulz sehr positiv geprägt. "Der Junge schläft schon" (Nordpark-Verlag, Reihe "Besondere Hefte", 6,50 Euro) bietet auf 52 Seiten eine Auswahl von Wendland-Geschichten. Viele sind in der Ich-Form geschriebene Text-Kernstücke, aus denen spätere Schulz-Romane entstanden sind: Für Kenner eine reizvolle Spurensuche. Schulz, der schon mit dem Nordpark-Bändchen "Der Tag, an dem ich meine Schularbeiten nicht mehr gemacht habe" bewies, dass er fast ein besserer Erzählungs- als Romanschreiber ist, ist hier ganz bei sich: Still, wortkarg wie die Wendländer, intensiv, atmosphärisch stark. Besonders gut: "Ein schweigsamer Bauer", "Wendland ist überall" und vor allem "Mit Waldemar in Bösen". Kleines Buch, große Sprache.
Ganz weit weg geht's für den Lokalreporter Wagner in "German Cop", einem Thailand-Krimi mit Rezepten von Dieter Jandt (Oktober-Verlag, 15,90 Euro). Das Buch ist Jandts Fortsetzung seines Wuppertal-Krimis "Rubine im Zwielicht" von 2009. Die verwirrend-verworrene Story mit Morden, Verfolgungen, Drogen- und Edelsteinschmuggel, Gewalt und Sex spielt vor allem in der Thai-Hauptstadt Bangkok — und im Norden des Landes plus Laos und Burma. Jandt, der sich in der Region bestens auskennt, bietet viel typische Atmosphäre, Speise- und Reiseberichte, philosophisch-lebenspraktische Betrachtungen zum Thema Thai-Frauen und deutsche Männer — sowie eine atemlose Berg- und Talbahnfahrt seines "Helden", der seine große Liebe, die Thai-Schönheit Nok, sucht, findet, aus dem Gefängnis befreit, wieder verliert, sucht und findet, sucht und findet. Die Handlung in "German Cop" steht fast ständig unter Starkstrom, trotzdem bleibt das Buch spannungsmäßig seltsam blass. Fest steht: Das (offene) Ende fordert (unbedingt) eine Fortsetzung...
Apropos Fortsetzung: "Lehrer? Ein unverschämt attraktiver Beruf" von Arne Ulbricht (Schwarzkopf & Schwarzkopf-Verlag, 9,99 Euro) ist zwar keine, aber irgendwie doch. Der Wuppertaler Lehrer, der mit seinen Büchern und gegen den pädagogischen Mainstream steuernden Positionen für viele heiße Debatten weit über Lehrerzimmer hinaus sorgte, hat hier weitere 218 Seiten Diskussionsstoff im Programm. Das Buch bietet viel bisher Unveröffentlichtes, zahlreiche Zeitungsartikel zur Bildung, sehr prägnante, sehr persönliche Einblicke in Ulbrichts (Denk-)Welt(en) — und sogar eigene literarische Texte des Pädagogen, der — wie er sagt — eigentlich Schriftsteller werden wollte. Interessant: Seine Zeitungsartikel kommentiert Ulbricht rückwirkend, sagt offen, was er heute anders sieht. Fazit: Wer Arne Ulbricht "kennenlernen" will beziehungsweise seine Positionen zur Digitalisierung des Schulunterrichtes, "Entamtung", Schulnoten, deutschem Föderalismus-Wirrwarr und vielem mehr in einem Taschenbuch konzentriert haben möchte, ist hier richtig. Dass sich vieles dabei wiederholt, nervt zwar, ist aber unvermeidlich.
Zum Schluss Dorothea Müllers "Tom — eine Knastgeschichte" (Verlag 3.0, 9,50 Euro): Eindringlich und authentisch erzählt die Wuppertaler Autorin aus der Innenwelt eines Gefängnishäftlings — und aus der Innenwelt eines Gefängnisses. Ihr "Held" Tom macht auf 136 Seiten eine tiefgreifende Wandlung durch, die alles andere als einfach abläuft. Weil Dorothea Müller jahrelang als Häftlingsbetreuerin und Jugendgerichtsschöffin aktiv gewesen ist, steckt dieser keineswegs weichgespülte Text voller Wissen und Sachverstand — sowie ganz viel Einfühlungsvermögen. "Tom" — illustriert von Dorothea Müllers Sohn Frank — ist für Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen geeignet. Das Buch hält den Leser fest im Griff, öffnet im wahrsten Wortsinn dicke Mauern.